Opium bei Frau Rauscher
verfolgte Tuk-Tuk erneut den Blinker. Vorsichtig, einigen Schlaglöchern ausweichend, bog es nach rechts auf einen Feldweg ein. Ein weißes Schild wies den Weg zur Mae Kok Villa.
Der Oberkommissar brüllte es ins Mobiltelefon: „Mae Kok Villa. Ich wiederhole, Mae Kok Villa. Du weißt, wo …“
„Lights out“, befahl Herr Schweitzer dem Fahrer. Man war in einer Sackgasse angelangt. Mae Kok hieß der Fluß, an dessen Südufer Chiang Rai zum überwiegenden Teil lag. Palmen säumten die Schotterpiste. Zwei riesige, für den Kochtopf bestimmte Enten watschelten über den Weg.
Der Fahrer bremste.
„Why?“ fragte Herr Schweitzer. „Please go on.“
Aber der Chauffeur hatte mitgedacht. Von hier aus seien es nur noch fünfunddreißig Meter oder weniger bis zum Guesthouse, und dahinter sei nichts mehr außer dem Mae Kok.
Schmidt-Schmitt und Herr Schweitzer hielten sich parallel von der von einigen kleineren Laternen erleuchteten Piste. Durch das Unterholz bahnten sie sich ihren Weg zum Guesthouse. Das Tuk-Tuk von Lola und Jürgen hatte wieder Kurs auf die Hauptstraße genommen. Vor einem kleinen Holzhäuschen brannte eine Glühbirne. Durch das Fenster konnten sie die Verfolgten sehen. Außerdem war noch eine weitere männliche Person anwesend, die ihnen aber unbekannt war. Sicher war nur, daß es kein Asiat war, zu mächtig war er von Statur.
Retrospektiv betrachtet war dies der Moment, in dem der Fehler geschah. Wenn man von einem Fehler sprechen konnte. Im Prinzip waren es aber nur zwei unterschiedliche Lebensphilosophien, die aufeinanderprallten. Die eine war die deutsche, die mit einer Minute sechzig Sekunden meinte, die andere die asiatische, die mit einer Minute eine Zeitspanne umfaßte, die unter einer halben Stunde lag. Mischa fragte nämlich Rungroj, wie lange er noch bis zur Mae Kok Villa brauche.
„Eine Minute, ich bin da“, lautete des Thais Antwort, obwohl der Einsatzwagen eben erst den Klang Wiang Tempel passiert hatte.
So geschah es, daß Schmidt-Schmitt und der Detektiv das Häuschen erstürmten, als sie zwei Scheinwerfer auf das Haus zufahren sahen und annahmen, es handele sich um Rungroj und seine Kollegen.
Die Eroberung geschah von zwei Seiten. Herr Schweitzer sollte erst dann durch den Hintereingang kommen, wenn er Schmidt-Schmitts Stimme vernommen habe.
„Keine Bewegung. Hände hoch, aber dalli“, dröhnte es von innen.
Das war sein Zeichen. Er drückte die Klinke. Verschlossen. Er hatte eine pfiffige Idee. Filmreif nahm Herr Schweitzer Anlauf. Die Holztür schien ihre beste Zeit hinter sich zu haben, sie machte einen morschen Eindruck. Mit der Schulter zuerst schmiß sich der Detektiv mit aller Kraft und Wucht dagegen. Doch war sie noch zerbrechlicher als vermutet. Anstatt nun aufzuspringen oder zumindest ein klein wenig nachzugeben, kippte die Tür wie ein Dominostein einfach nach innen. Und Herr Schweitzer mit ihr. Seine Fettpölsterchen ließen ihn weich fallen. Es sah aus, als reite er auf einem etwas groß geratenen Surfbrett.
„Warum gehst du nicht zum Spielen in den Garten?“ wurde er vom Oberkommissar vorwitzig begrüßt.
Da hatte er nun Kopf und Kragen riskiert, und der Blödian von Bulle klopfte dumme Sprüche. Haha, irre lustig, dachte Herr Schweitzer. Er erhob sich und klopfte die Holzsplitter von seiner Jeans. „Ich suche meinen roten Hüpfball. Habt ihr ihn hier irgendwo gesehen?“
Lola in Männerkleidung, Waldemar Hanuch also, Jürgen Sikora und der Unbekannte starrten Herrn Schweitzer ungläubig und offenen Mundes an. In Schach gehalten wurden sie von Schmidt-Schmitts Dienstwaffe. Von draußen hörte man das Knirschen bremsender Reifen. Die Verstärkung. Gleich würde die Situation vollends unter Kontrolle sein.
„Ihr seid verhaftet“, zischte der deutsche Polizist.
„Du hier?“ kam es noch von Jürgen Sikora, bevor etwa zehn Uniformierte das kleine Gebäude erstürmten.
Allgemein hatte man erwartet, Rungroj würde sich an die Spitze der Eroberer gesetzt haben. Doch weit gefehlt. Der Anführer war ein Koloß von Mannsbild. Nicht gerade typisch für den hiesigen Menschenschlag. Und von Höflichkeit hatte er obendrein auch noch nichts gehört. Als erstes bohrte er seine Maschinenpistole, ein nagelneues chinesisches Model, in Herrn Schweitzers Bauch, während den anderen Deutschen dieselbe Behandlung widerfuhr. Sowohl Schmidt-Schmitt als auch Herr Schweitzer waren ob der Brutalität des Einsatzes gar mächtig erstaunt. Noch dachten sie sich nichts dabei.
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