Opium bei Frau Rauscher
Sicherlich klärte sich dieses Mißverständnis demnächst. In all dem Tohuwabohu und fremdsprachlichen Gekreische war ihnen aber entgangen, daß sich die Uniformen der Eindringlinge sehr wohl von denen der thailändischen Polizei unterschieden. Bestimmt nur die Vorhut, dachte Herr Schweitzer, als draußen ein weiteres Auto vorfuhr. Na endlich, gleich wird Rungroj seine Mannen zur Räson bringen.
Die Vermutung um Rungroj war ein Volltreffer, die mit seinen Mannen und der Räson ein frommer Wunsch. Denn kaum hatte ihr Kontaktbeamter den Raum in Begleitung zweier Kollegen betreten, erstarrten sie auch schon zu Salzsäulen. Ihre gezogenen Knarren hingen schlaff und seitlich herab. Es folgte ein Dialog zwischen dem Koloß und Rungroj, bei dem aber für jedermann ersichtlich war, wer von beiden Kraft seines Ranges mehr Autorität ausstrahlte. Es war der Koloß. Rungrojs Stimme war ein einziges devotes Piepsen. Gleichwohl er seinen Standpunkt zu vertreten verstand, hatte er keine Chance. Nicht hier und nicht jetzt.
Herrn Schweitzers Hände schmerzten vom Hochhalten. Obzwar er der Auseinandersetzung sprachlich nicht zu folgen vermochte, deuchte ihm, daß es mit dem verdienten Feierabendschoppen nichts werden würde.
Und so war es auch. Wie eine Viehherde wurden sie auf die Ladefläche des vor der Haustür parkenden Lasters getrieben. Von dort aus sah er noch, wie einer der Armeeangehörigen dem Koloß ein Kästchen zeigte, das voll mit kleinen beschrifteten Steinen war. Herrn Schweitzer waren sie wohlbekannt. Es handelte sich um chinesische Glückssteine. Auch Lola und Jürgen hatten die Szene verfolgt. Sie waren zu Tode betrübt. Und Herrn Schweitzer kam die Gelassenheit eines Unschuldigen immer mehr abhanden. Er befürchtete, aus dieser Nummer nicht mehr rauszukommen.
Ein philosophisch bewanderter Schriftsteller behauptete einstmals, die Nacht lösche alle Gegensätze. Zumindest auf den Knast in Chiang Rai ließ sich diese These problemlos anwenden. Polizeioberkommissar, Detektiv und schillernde Gestalten der Unterwelt konnten den sternenklaren Nachthimmel nur gemeinsam, partiell und durch Eisengitter gestreift zur Kenntnis nehmen. Im Moment jedoch fehlte ihnen jedweder Sinn von Romantik. Die Kakerlaken zu Herrn Schweitzers Füßen wurden immer mutiger. Eine kletterte gerade auf seinen braunen Halbschuh. Angewidert schnickte er sie fort. Minütlich erwartete er Rungroj, damit dieser Alp endlich ein Ende fand. Doch dieser ließ sich ums Verrecken nicht blicken. Jetzt waren schon fast zwanzig Minuten um. Zu allem Überfluß machte sich Schmidt-Schmitts Grippe wieder bemerkbar. Er nieste und schnäuzte sich in einem fort und sah überhaupt recht unfit aus.
Alles halb so schlimm, beschwichtigte sich Herr Schweitzer, bald kommt Licht ins Dunkel und die liebgewonnene Freiheit hat mich bald wieder. Sein einziges Begehr galt einem Schoppen Ebbelwei. Genießbar ausschließlich in einer heimischen Kneipe. Ach ja, das Eichkatzerl, seufz. Ob die deutsche Botschaft schon informiert ist?
Da der Oberkommissar grippös außer Gefecht gesetzt war und Kopf nach unten an der kahlen Ziegelsteinmauer döste, war es an Herrn Schweitzer, Verantwortung zu übernehmen. „Du da, wer bist du denn?“
Es waren die ersten Worte, die trotz der vollzähligen Belegung des vielleicht zehn Quadratmeter großen Raums gesprochen wurden. Lola und Jürgen saßen Arm in Arm beieinander und trösteten sich nonverbal.
Der andere, ihm nicht bekannte Mann mit dem Pockengesicht und der schmierigen schwarzen Kurzhaarfrisur blickte finster vor sich hin. Als die Frage kam, erhob er den Kopf, lächelte maliziös und antwortete in einwandfreiem Hochdeutsch: „Fick dich.“
Gut, dachte Herr Schweitzer, dann wäre dieses Thema auch erledigt. Er versuchte es bei Jürgen: „Ihr solltet euch um einen Anwalt kümmern. Ich kenne da …“
Doch der Bösewicht fuhr ihm erneut in die Parade: „Hörst du schwer? Du sollst dich ficken. Und ihr zwei, ihr haltet gefälligst die Fresse.“ Letzteres war auf Lola und Jürgen gemünzt, die eingeschüchtert noch enger zusammenrückten. Herr Schweitzer hatte Mitleid mit ihnen.
Für Stunden war es der letzte gesprochene Satz in der Zelle. Doch die Gedanken sind frei. Sie hatten allerdings einen entscheidenden Nachteil: Sie kamen und gingen, wie es ihnen gerade gefiel. Herrn Schweitzer hinderten sie am Einschlafen. Immer wieder stellte er sich den Super-GAU vor. Er, vor einem thailändischen Gericht, angeklagt des
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