Optimum 1
und dem Kerl ins Gesicht grinste. »Könnte ich dir sagen«, gab sie zurück, »aber ich will dir keinen Schock versetzen. Ich hab gelernt, man soll den Eingeborenen nicht die eigene Kultur aufzwingen.«
Jo lachte, und selbst Eliza grinste schüchtern. Der Junge – ein großer Kerl mit mittelbraunem, kunstvoll zerzaustem Haar – schien zu überlegen, ob er sauer sein sollte oder nicht. Schließlich zuckte er mit den Schultern und entschloss sich, ebenfalls zu lachen.
»Torben«, rief er ihr zu, offensichtlich der Überzeugung, dass das reichte. Dann zeigte er auf die beiden links und rechts von sich. »Robin und Kai.«
Rica war kurz versucht, die drei einfach nicht weiter zu beachten, doch dann nickte sie Torben zu.
»Ich bin Rica.«
Über den scheinbar unüberbrückbaren Abgrund zwischen den zwei Sitzbänken hinweg sahen sie sich an. Jeder versuchte, den anderen einzuschätzen. Rica wusste nicht, zu welchem Schluss die Jungs kamen, sie jedenfalls war ganz zufrieden. Die drei wirkten in Ordnung. Nicht halb solche Snobs, wie sie es von dieser Schule erwartet hätte. Der Junge rechts von Torben – Robin? – sah sogar ganz gut aus mit seinem karamellfarbenen Haar und den verstreuten Sommersprossen um die Nase herum. Nicht dass sie das zu interessieren hatte, immerhin wartete zu Hause noch Yannik auf sie, aber trotzdem … Man durfte ja wohl ein bisschen gucken. Das konnte ihr doch keiner übel nehmen.
Nach der langen gegenseitigen Musterung richteten sowohl Rica als auch die Jungs ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Spielfeld, wo sich das Pärchen inzwischen über das Netz hinweg die Hand schüttelte. Rica sah ihnen dabei zu, als sei es das Spannendste, was ihr in der letzten Zeit untergekommen war.
»Was meintest du damit – ihr seid hier alle Genies?«, fragte sie Jo.
»Sind wir halt.« Jo legte den Kopf schief und grinste, aber es sah nicht sehr echt aus. »Glaubst du mir etwa nicht?« Sie klang auf einmal irgendwie aggressiv. Unwillkürlich rückte Rica ein Stück auf der Bank nach außen und wäre beinah von der Kante gerutscht.
»Hab ich damit nicht sagen wollen«, patzte sie zurück, um ihre plötzliche Unsicherheit zu überspielen. »Aber das klingt schon ein bisschen seltsam und – «
»Josefine?« Eine Erwachsenenstimme unterbrach die Unterhaltung.
Alle Blicke schnellten in dieselbe Richtung, sogar die beiden Tennisspieler sahen auf. Eine Frau näherte sich auf dem gepflasterten Fußweg, der zwischen den Tennisplätzen entlanglief. Sie trug ein elegantes cremefarbenes Kostüm mit einer blauen Bluse und hatte das dunkelbraune Haar hochgesteckt. Ihre Haut wies eine perfekte Bräunung auf, und ihr Gang war so selbstbewusst, als könne ihr die Welt nichts anhaben. Rica hatte noch nie jemanden gesehen, der mehr Selbstsicherheit ausstrahlte. Und auch noch nie jemanden, der sie auf Anhieb so eingeschüchtert hätte.
»Josefine«, wiederholte die Frau und blieb vor der Bank stehen. Sie betrachtete die Füße der drei Mädchen auf der Sitzfläche argwöhnisch und zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. Sie wollte offensichtlich gerade etwas dazu sagen und blickte auf, doch da entdeckte sie Rica – und ihr Gesicht schien zu erstarren. Anders konnte Rica es gar nicht beschreiben. Der Ausdruck auf den Zügen der Fremden wurde steif und noch unechter als zuvor. Rica kam es so vor, als wolle die Frau sie mit ihren Augen durchleuchten.
»Ja, Frau Jansen?« Jo klang nun noch rebellischer und ein klein wenig ärgerlich.
Die Frau reagierte allerdings überhaupt nicht darauf. Es war, als habe sie Jo gar nicht gehört. Sie starrte weiterhin Rica an, als sei diese eine Erscheinung von einem anderen Planeten. Rica wusste nicht recht, was sie tun sollte. Verlegen sah sie zur Seite, dann kam ihr das unhöflich vor, und sie wandte sich wieder dem Gesicht der Frau zu. Noch immer schien diese völlig fassungslos zu sein.
»Ähm … Guten Tag«, versuchte Rica es schließlich, damit wenigstens irgendjemand etwas sagte. Selbst die Jungs blickten inzwischen zu ihnen herüber, und Eliza hatte sich neben Rica so klein gemacht, als wolle sie am liebsten im Erdboden versinken.
»Ich bin neu hier an der Schule«, fuhr Rica fort, um ihre Anwesenheit zu erklären. »Meine Mutter hat eine Stelle hier angenommen. Vielleicht haben Sie von ihr gehört. Frau Lentz.«
Die Frau schluckte und schien sich allmählich wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Natürlich. Du musst Ricarda sein. Ricarda … Lentz.« Sie machte eine
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