Optimum - Kalte Spuren
Verzweiflung und ihre Not, weil sie anders war als alle anderen. Weil ihre Fähigkeiten ihr Angst machten. Rica musterte Simon. Er war besser, viel besser mit diesem ganzen Kram, als Jo es je gewesen war. Vielleicht war es einfach so, dass er auch mehr darunter litt. Aber trotzdem wurde ihr ganz kalt, wenn sie daran dachte, was in der Küche passiert war.
»Bitte, hör damit auf!« Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen konnte. Ihr waren die Argumente ausgegangen. Sie fühlte sich nur noch müde und wie ausgehöhlt.
In Simons Augen blitzte etwas auf. Einen Augenblick lang dachte Rica, er amüsierte sich über sie, doch dann sah sie die kalte Wut. »Okay«, sagte er leise. »Ich höre auf. Wenn du die Finger von meinem Bruder lässt.« Er reckte sein Kinn. »Robin gehört zu Saskia. Das war schon immer so. Du störst nur.«
»Deswegen wolltest du mich umbringen?« Rica schüttelte den Kopf.
»Wenn du nicht mehr da bist«, zischte Simon, »dann kommt er bestimmt zu Saskia zurück. Und dann …« Er sprach nicht weiter, aber es war klar, was er sagen wollte. Dann war die Welt wieder in Ordnung. Dann war alles so, wie es Simon geplant hatte, und wie es ihm in den Kram passte.
Rica schloss die Augen. Sie war so erschöpft, völlig ausgelaugt von dem langen Tag und den ständigen Gefahren. Ihr Kampfgeist schien fast verloschen. Sie wollte nur noch, dass alles zu Ende war. Sie war versucht, Simon einfach nachzugeben. Zu sagen, was er hören wollte, und endlich, endlich in Ruhe gelassen werden.
Doch dann dachte sie an Robin, und plötzlich konnte sie ihr Herz bis zum Hals schlagen spüren. Ihre Kehle wurde eng. Niemals kann ich ihn verraten. Nicht einfach so. Nicht jetzt.
Sie öffnete die Augen wieder und sah Simon fest ins Gesicht. »Warum?«, wollte sie wissen. »Warum ist dir das so wichtig?«
Simons Stimme war nur noch ein Flüstern. Er klang unendlich traurig. »Robin und Saskia gehören zusammen«, wiederholte er. »Sie sind … mein Halt. Sie waren immer für mich da. Im Gegensatz zu meinen Eltern.« Er holte tief Luft, und Rica gewann den Eindruck, dass er ein Schluchzen unterdrücken musste. Dann jedoch sprach er in dem harten und kalten Ton weiter, den er vorher schon angeschlagen hatte. »Alle anderen sind mir egal. Sie können mir alle gestohlen bleiben. Die ganze Welt. Wenn nur Robin und Saskia zu mir halten.«
Wieder überlief Rica ein eisiger Schauder. Aber sie wusste auch, dass sie trotzdem nicht nachgeben würde. Das, was sie und Robin hatten, war stärker als der Wille dieses kleinen Jungen. »Robin liebt mich«, sagte sie. Sie war nicht wenig stolz darauf, dass ihre Stimme gar nicht zitterte. »Und ich liebe ihn. Du kannst dir selbst überlegen, was das für dich heißt.«
Simon starrte Rica fassungslos an. Dann blinzelte er ganz langsam wie eine Schlange. Ohne noch ein Wort zu Rica zu sagen, drehte er sich zu Jasmin um. »Wir können weitermachen«, flüsterte er. »Es ist mir egal, was sie mit ihr machen. Tu, was auch immer dir gefällt.«
Ricas Magen zog sich zusammen. Los! Renn! Aber sie fühlte sich wie gelähmt. Wenn du nicht läufst, wirst du sterben! Langsam, viel zu langsam drehte sie sich um und bewegte sich auf die Tür zu. Jetzt werden sie mich erwischen.
Doch der erwartete Aufschrei aus der Menge der Schüler blieb aus. Kein Stampfen von vielen Schritten im Schnee, keine Morddrohungen. Nur das leise Murmeln, das vorher schon zu hören gewesen war. Rica hielt inne und wandte sich um. Keiner hatte sich vom Fleck gerührt. Die Schüler im Hintergrund hatten sich allenfalls noch ein wenig enger zusammengedrängt. Simon stand wie vom Donner gerührt da und starrte Jasmin an.
Die hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte so feindselig zurück, dass es Rica nicht gewundert hätte, wenn Simon im nächsten Moment tot umgefallen wäre.
»Jasmin …« , begann er, aber sie unterbrach ihn.
»Alle anderen sind dir egal?« Ihre Stimme zitterte, Rica konnte jedoch nicht feststellen, ob vor Kummer oder vor Wut. »Alle anderen?«
Ein entsetzter Ausdruck trat in Simons Augen. Zu Ricas Überraschung sah sie, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Jasmin, das habe ich nicht so gemeint. Ich …«
Doch Jasmin schüttelte den Kopf. Sie wirkte dermaßen verletzt, dass Rica sie am liebsten in die Arme genommen hätte. »Ich weiß genau, wie du das gemeint hast«, sagte sie. »Ich hab’s ja vorher nicht glauben wollen. Ich dachte, du wolltest wirklich mein Freund sein.« Sie hielt sich
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