Optimum - Kalte Spuren
Nachmittag etwas anderes vorgenommen.«
»Ach ja, was denn? Etwa was anderes als kleine Jungs fertigzumachen?«, schnaubte Rica, und strich sich eine nasse Haarsträhne aus der Stirn. Irgendwann in dem ganzen Schneegetümmel hatte sie ihre Mütze verloren, und jetzt fühlte sie, wie ihr aus den nassen Haaren eisiges Wasser in den Kragen lief.
»Ach, das war doch nur Spaß.« Marcel winkte ab. Er grinste noch immer Rica an.
»Schöner Spaß.« Nathan hatte die beiden Kleineren losgelassen und trat hinter Rica. »Ihr solltet nicht alle auf einem herumhacken, bloß, weil er kleiner ist als ihr.«
»Simon ist nicht einfach nur kleiner. Er ist seltsam«, erwiderte ein Junge ein wenig trotzig. Dann presste er die Lippen aufeinander, machte einen Schritt auf Nathan zu und sah ihn herausfordernd an.
Seltsam. Rica warf einen Blick zu Simon hinüber, der inzwischen auch aufgestanden war und seinen Skianzug abklopfte. Er wirkte immer noch völlig gelassen, auch wenn seine Augen ein wenig heller funkelten. Aber vielleicht war das auch nur die Reflektion der Schneefelder.
»Das ist noch lange kein Grund, auf ihm herumzuhacken«, gab sie zurück. »Los, macht, dass ihr verschwindet.«
Die kleine Gruppe zögerte noch einen Moment, dann verteilten sich die Schüler leise schimpfend und begannen, ihre jeweiligen Skiausrüstungen zusammenzusuchen.
Nathan bückte sich, um Simons Ski und Stöcke aufzusammeln, während Rica zu dem Jungen hinüberging.
»Alles in Ordnung bei dir?«
»Danke«, sagte er ziemlich gelassen. »Aber ich hätte keine Hilfe gebraucht.« Damit nahm er Nathan seine Ausrüstung aus der Hand, drehte sich um und ging in Richtung Schlitten.
Rica starrte ihm mit offenem Mund hinterher.
»Nicht sehr freundlich, dein kleiner Schützling«, meinte Nathan.
Rica wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment trat Herr Röhling aus der Hütte. »Bereit für den Nachmittag auf der Piste?«, rief er in die Runde und strahlte.
Während alle nickten und angemessen freudige Laute von sich gaben, betrachtete Rica Herrn Röhling und fragte sich, wo er vor fünf Minuten gewesen war. Waren die Aufsichtspersonen nicht genau dafür da, solche Geschichten wie eben zu verhindern? Aber Herr Röhling schien nichts gesehen und nichts gehört zu haben. Er lächelte alle Schüler munter an.
Erneut ging es auf zur Skipiste. Während sie am Morgen den Hang noch ganz für sich allein gehabt hatten, hatte es sich nun gefüllt, und ein paar andere Anfänger waren mit ihren Skilehrern unterwegs. Horden von kleinen Kindern, die ohne auch nur irgendwie auf den Weg zu achten, den Hang hinunterrasten, kleine Grüppchen von kichernden Damen, die vor allem darauf Wert zu legen schienen, gegenseitig ihre Markenanoraks zu bewundern und noch eine Handvoll Teenager, die die Neuankömmlinge interessiert beäugten. Mindestens die Hälfte von den letzteren schienen wirklich keine Anfänger zu sein, denn kaum hatten sie einen Blick auf Ricas Gruppe geworfen, schwangen sie herum, um in rasendem Tempo den Berg hinunterzuschießen.
»Pistenrowdies«, murmelte Robin und verzog das Gesicht. »Können froh sein, wenn die uns nicht abdrängen.«
Rica zuckte mit den Schultern. Richtig groß schien ihr die Gefahr nicht zu sein, und außerdem war ihr seit der Geschichte mit Simon die Lust am Skifahren ohnehin vergangen. Da konnten ein paar Durchgeknallte es auch nicht mehr schlimmer machen. Nur mit halbem Ohr hörte sie Herrn Röhlings Erläuterungen zu, während sie sich die Skier an die Füße schnallte.
Als sie dieses Mal herumschwang, um sich der Piste zu stellen, fühlte Rica sich wackelig auf den Beinen und viel unsicherer als am Vormittag. Plötzlich kam ihr der flache, angenehme Hang viel zu steil und viel zu hoch vor, um sich daran zu wagen. Weiter unten durchschnitt ein schneeüberhangener Bach die Landschaft, und dahinter zeichneten sich die ersten Bäume ab.
Was ist, wenn ich in den Bach fahre?, ging es Rica durch den Kopf, doch sie schüttelte den Gedanken gleich wieder ab. Dann werde ich eben ein bisschen nass. Meine Güte, so schlimm ist das auch wieder nicht. Ärgerlich über sich selbst wandte Rica sich der Piste zu. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, stieß sie sich mit Schwung ab und sauste los.
Im nächsten Moment wusste sie, dass es schiefgehen würde. Kaum dass sie Fahrt aufgenommen hatte, breitete sich ein mulmiges Gefühl in ihrer Magengegend aus, und sie wusste einfach, dass das kein gutes Ende nehmen würde. Sie fuhr
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