Optimum - Kalte Spuren
eine Schlangenlinie, schwang von einer Seite zur anderen und versuchte zu bremsen, musste aber feststellen, dass sie irgendwie vergessen hatte, wie man das machte. Stattdessen wurde ihre Fahrt nur immer schneller, die Landschaft schoss an ihr vorbei, und der kalte Wind biss in ihre Wangen. Sie konnte nicht mehr sehen, wohin sie fuhr, geblendet von all dem aufstiebenden Schnee und ihrer eigenen Angst.
Ein Schatten huschte an ihr vorbei, dann noch einer. Sind das schon die Bäume? Rica versuchte auszuweichen, fuhr eine lange Kurve und wurde dabei ein wenig langsamer. Sie blinzelte, wagte einen Blick und merkte zu ihrer Erleichterung, dass sie gar nicht mehr so schnell fuhr. Sie bewegte sich ein wenig schräg den Hang hinunter, andere Skiläufer wichen ihr fluchend und schimpfend nach allen Richtungen aus, während sie selbst geradewegs auf den hohen Schnee am Rand der Piste zusteuerte.
Einen Augenblick lang war sie versucht, einfach in den Schnee hineinzufahren und sich fallen zu lassen. Viel passieren konnte nicht, und dann war wenigstens ihre Abfahrt erst mal zu Ende. Aber jetzt, wo sie die ganze Sache wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, kam ihr diese Option langweilig und feige vor. Jetzt wollte sie auch den Rest vom Hang hinunterfahren. Rica schenkte dem unberührten Tiefschnee einen letzten Blick und schwenkte um.
Im nächsten Moment gab die Bindung ihres rechten Skis nach. Mit einem leisen Klicken löste er sich von ihrem Fuß und glitt, wie von einem eigenen Willen beseelt, davon. Rica stolperte nach vorn. Ihr linker Fuß, immer noch fest im Ski steckend, rutschte weiter bergab. Einen Moment lang gelang es ihr, Schritt zu halten, dann verlor sie endgültig das Gleichgewicht und stürzte.
Der Aufprall war viel härter, als er bei einem Haufen Schnee eigentlich hätte sein dürfen. Die Welt vor ihren Augen kippte weg, Rica wirbelte herum und streckte ihre Arme nach beiden Seiten aus. Ihre Finger krallten sich in die harte Schneekruste, suchten Halt. Unwillkürlich streckte Rica auch ihre Beine so weit wie möglich aus. Das war eine nur mittelmäßig gute Idee gewesen. Ihr rechtes Bein drehte sich zur Seite weg, und ein scharfer Schmerz durchzuckte ihr Knie. Rica schrie auf, aber tatsächlich wurde ihr Fall abgebremst, bevor auch ihre linke Bindung nachgab und den Ski freigab. Sie rutschte noch ein paar Meter weiter, Schnee stob ihr ins Gesicht, dann blieb sie liegen.
In ihren Ohren dröhnte es, als würde neben ihr ein Flugzeug abheben. Die Welt war dunkel, bis sie die Hand gehoben und den Schneefilm von ihren Augen gewischt hatte.
»Rica! Ist dir was passiert?« Robins Stimme klang aufgebracht. Sie blinzelte und rappelte sich vorsichtig auf. Ihre Seite schmerzte schrecklich, aber ihr schien nichts Ernsthaftes zugestoßen zu sein. Nach einem weiteren Blinzeln klärte sich ihr Blick so weit, dass sie die Piste vor sich erkennen konnte – und Robin, der sich über sie gebeugt hatte und sie besorgt ansah.
»Ich bin so weit in Ordnung, glaube ich«, meinte Rica und tastete vorsichtig ihre rechte Seite ab. Es tat schon nicht mehr ganz so weh, und es wurde auch nicht schlimmer, als sie darauf fasste. Wahrscheinlich war sie also um eine Prellung herumgekommen.
»Das sah schlimm aus.« Robin hielt ihr die Hand hin und half ihr hoch. Ricas Beine fühlten sich etwas wackelig an, und ihr Knie schmerzte auch noch, aber immerhin konnte sie halbwegs problemlos aufstehen.
Schnee spritzte, und neben ihnen kam Herr Röhling zum Stehen. »Alles in Ordnung? Nichts gebrochen?«, erkundigte er sich und musterte Rica beinah erwartungsvoll. Rica biss die Zähne zusammen und nickte.
»Was ist denn mit deinem Ski passiert?«, wollte er wissen. »Hast du an der Bindung herumgeschraubt? Ich habe sie doch heute Vormittag extra eingestellt.«
»Ich habe die Bindung nicht angerührt«, protestierte Rica. »Ich kenne mich doch damit gar nicht aus, warum sollte ich das getan haben?«
»Na ja, jedenfalls ist sie viel zu niedrig. Ein Wunder, dass du den Ski nicht schon vorher verloren hast«, sagte Herr Röhling. Dem Blick nach zu urteilen, den er Rica schenkte, glaubte er ihr nicht.
Rica presste die Lippen aufeinander und versuchte, sich zu erinnern, ob sie vielleicht irgendwie versehentlich an die Bindung gekommen sein konnte.
In diesem Moment schoss Saskia an ihnen vorbei hangabwärts. Ihr Blick huschte nur kurz zu Rica und Robin, doch darin lag blanker Hass.
Kapitel fünf
Funkstille
Ricas Knie tat immer noch weh, als
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