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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Zeit hatte er nur immer hin und her gegrübelt, wieer die Frau im Brunnen finden könnte. Aber was er sie fragen, wie er sie überzeugen könnte, ihm zu helfen, hatte er sich keinen Augenblick lang überlegt.
    Gedankenverloren sah er zu, wie die Alte vor ihm in den Brunnen stieg. Es war einfach ein Loch im schlammigen Boden, mit winzig schmalen Stufen in der Schlammwand, die unabsehbar weit abwärtsführten. Aber die Alte glitt die schwindelerregende Stiege so behände wie ein Salamander hinunter und schwenkte die Eimer in ihrer Hand. »Sieh nur, Söhnchen, was für ein Schlamm.«
    Er folgte ihr unbeholfen, mit der Brust an die Schlammwand gepresst und beide Hände in den Schlamm gekrallt. Als er endlich unten war, fand er sich im Herzen eines fließenden Sterns. Ein klarer, kräftiger Quell entsprang hier im Boden und speiste ein ganzes Dutzend gurgelnder Bäche, die durch dunkle Tunnel in alle Richtungen davonströmten.
    Die Alte hockte in einer Nische am Rand und schaufelte mit beiden Händen Schlamm in ihre Eimer. »Sieh nur, Söhnchen«, schnaufte sie erneut.
    Der Schlamm zwischen ihren Fingern schillerte und leuchtete in allen Farben. Aber Laurenz achtete nicht länger auf die Alte, denn er hatte die Frau, die im Brunnen wohnte, entdeckt. Sie saß am Boden, mit dem Rücken gegen die Brunnenwand gelehnt. Ihre langen Haare, ihr Antlitz, auch die Hände, die sie ihm entgegenstreckte, alles war mit schillernden Bildern bedeckt. Ihre Stirn war ein leuchtender Halbmond, ihre eine Wange ein Wolfsbau, die andere ein festlich erleuchteter Palast. In ihrer linken Hand tanzte ein Brautpaar, in der rechten focht ein junger Ritter erbittert gegen eine Übermacht bärtiger Widersacher. Als sie ihren Mund zu einem Lächeln öffnete, sah Laurenz, dass ihre Zunge wie jene Blätter an den blühenden Sträuchern mit Zeichen übersät war. Die Farben ihrer Augen wechselten so rasch, dass ihm beim Hinschauen schwindlig wurde – daslinke grün, dann bernsteingelb, das rechte währenddessen blau, dann funkelnd schwarz.
    »Herrin, bitte helft mir«, stammelte Laurenz und warf sich vor ihr in den schillernden Schlamm. »Ich muss zurück in meine Vaterswelt und finde den Weg nicht mehr.«
    Sie antwortete nichts, sondern lächelte und schillerte ihn nur weiter an.
    »Weise Mutter«, flehte Laurentius Answer, »bitte zeigt mir den Weg.« Er hob seinen Kopf und erkannte, dass sie ihm nicht antworten würde, jedenfalls nicht auf Menschenart. Unverändert lächelte und schillerte sie ihn an und reckte ihm ihre Hände entgegen, in denen links das Brautpaar tanzte und rechts der junge Mann gegen die Alten focht. Und beides war er, das sah Laurenz nun auch – der Bräutigam beim Tanz und der Ritter im Kampf.
    Er richtete sich auf und streckte ihr seine Hände entgegen. Da kreuzte sie ihre Arme und berührte flüchtig seine linke mit ihrer rechten und seine rechte mit ihrer linken Hand. Und als er in seine Hände hinabsah, lag hier wie dort ein Klümpchen Bilderschlamm darin.
    Er starrte darauf und wusste nicht weiter. »Reib dich ein, Söhnchen«, krächzte die Alte in ihrer Nische. Als er zu ihr hinsah, fuhr sie sich mit beiden Händen übers Antlitz und ohne weiter nachzudenken, machte er es ihr nach.
    Als er wieder in seine Hände hinabschaute, erblickte er darin die Burg seiner Vorfahren, sein geliebtes Vaterhaus, in dem er aufgewachsen war. Die Mauern, dahinter das Haupthaus, der zinnengeschmückte Wohnturm, nichts fehlte und alles war so klar und deutlich zu sehen, als ob er durch ein offenes Fenster auf Burg Answer hinunterschaute, nur aus himmelweiter Entfernung.
    »Wie gelange ich dorthin, weise Mutter?«, fragte er, doch die Antwort bekam er schon nicht mehr mit. Ein Sausen erhob sich um ihn, ein Brausen wie Sturmwind packte ihn und rissihn mit sich fort. Mit dem Kopf voran wurde er in einen der dunklen schlammerfüllten Tunnel gezogen, schon spürte er, wie die Strömung ihn erfasste und mit sich davontrug. Das Rinnsal wurde zum Fluss, der unterirdisch dahinschoss und ihn mit solcher Gewalt fortriss, dass ihm die Sinne vergingen.
    Er kam erst wieder zu sich, als er wie mit einem Katapult abgeschossen steil aufwärtsflog. Immer noch umgab ihn gurgelnde Dunkelheit. Doch hoch über seinem Kopf erblickte er nun einen hellen Punkt, der rasch anwuchs, zu einer sonnenhellen Öffnung wurde, über der alles sonderbar schwankend und verschwommen aussah, wie hinter einer Scheibe aus unregelmäßig geblasenem Glas.
    Dann brach er schon mit dem

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