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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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leuchtenden Wasser getränkt. Da kam Laurenz ein Gedanke, der ihn zutiefst erschreckte. Quer über das schwankende Floß ging er zu der Alten hinüber und kauerte sich neben sie. »Mütterchen, bist du das Weib, das im Brunnen wohnt?«
    Ihr Keuchen und Kreischen war als Gelächter kaum zu erkennen. Sie riss ihre Arme hoch und hielt in jeder Hand einen eisernen Eimer. Während sie die Behälter über ihrem Kopf gegeneinanderschlug, rief sie ein ums andere Mal: »Zur Schlammigen will ich, doch die Schlammige bin ich nicht.«
    Nur mit Mühe ließ sie sich von Laurenz beruhigen. Schließlich setzte sie die Eimer wieder ab, und er erfuhr, dass sie einmal pro Monat den ganzen Strom hinunterreiste. Denn der Bilderschlamm in jenem Brunnen sei der beste weit und breit. »Überhaupt kein Vergleich mit der Brühe hier!« Sie tauchte eine Hand in den Fluss und bespritzte Laurenz mit schillernden Schlieren. Er erblickte Schlangen undneugeborene Säuglinge, in einer Erdmulde durcheinanderzuckend, dann waren ihr die letzten Tropfen zwischen den Knotenfingern zerronnen.
    »Und erst recht kein Vergleich«, sagte er mehr zu sich als zu der Alten, »mit dem Brunnenschlamm in der Welt oben unter dem Schieferhimmel.«
    Sie nickte eifrig, aber Laurenz war sich nicht sicher, ob sie verstanden hatte, wovon er sprach. Er deutete zu dem löchrigen grauen Himmel über ihnen. »Warst du schon einmal dort oben, Mütterchen?«
    Ehe sie ihm antworten konnte, ging ein Ruck durch das Floß und der Rappe in seinem Holzverschlag wieherte erschrocken auf. Der Flößer hatte sein Gefährt auf eine Sandbank im flachen Uferwasser getrieben, denn einen Steg gab es hier augenscheinlich nicht. »Aussteigen, die Herrschaften«, rief er und deutete mit ausgestrecktem Arm die Böschung hinauf. Seine Gebärde erinnerte Laurenz an die Steinfiguren in der Welt über ihnen. Aber der Flößer war ihm nun so zuwider, dass er ihm sogar zum Abschied nur wortlos zunickte, ehe er sich zwischen dem Holzverschlag, vor dem sein Messingschild schaukelte, und der Alten mit den eisernen Eimern hindurch ans Ufer drängte.
    Behände sprang Laurenz die Böschung hinauf. Aus irgendeinem Grund hatte er erwartet, hier oben eine Ansiedlung vorzufinden, mit Häusern um einen gepflasterten oder wenigstens gestampften Platz und in der Mitte dem Brunnen, in dem er nun endlich jenes Weib antreffen würde. Doch stattdessen fand er sich am Rand einer unabsehbar weiten Öde aus Sumpf und Schlamm. Es sah nicht viel anders aus als jene erste Öde aus Geröll und Staub, die ihm den Rückweg von Lucindas Schloss in seine Vaterswelt versperrt hatte. Nur dass diese Öde hier nass und weich und verschlingend schien, während die erste trocken und hart und abweisend war.
    In seinem Rücken hörte er die Alte mit ihren Eimern herbeikeuchen. »Nur immer hinter mir her, Söhnchen«, kreischte sie.
    Einige Augenblicke lang schaute er zu, wie sie auf einem kaum sichtbaren Trampelpfad in den Sumpf hineinschwankte, dann beeilte er sich, ihr zu folgen. »Wird alles gut, Söhnchen.«
    Nachdem sie geraume Zeit unter dem Himmel aus gehämmertem Kummer gegangen waren, begann die Alte vor Laurenz’ Augen gemächlich im Sumpf zu versinken. Sie ging wie bisher vor ihm her, ihre Eimer links und rechts schlenkernd, aber bei jedem Schritt schien sie nun um einige Zoll kleiner zu werden. Bald schon lief sie bis zu den Waden im Schlamm, hob und senkte aber weiterhin ihre Beine, nur mühsamer als vorher, und so machte Laurentius Answer es ihr nach.
    Immer glitschiger und abschüssiger wurde ihre Bahn. Allzu wohl war Laurenz nicht dabei, denn allem Anschein nach schlitterten sie auf einer Rutsche aus Schlamm in die Unterwelt hinab. Die Alte blieb irgendwann einfach stehen, einen Fuß vorgesetzt, die Arme mit den Eimern seitlich ausgestreckt, um ihre Balance zu verbessern, und glitschte jauchzend dahin. Er folgte ihr dichtauf, mit den Armen fuchtelnd, legte ihr schließlich seine Hände auf die knochenspitzen Schultern und schob sie vor sich her. »Köstlicher Bilderschlamm!«, jubelte die Alte. »Wirst schon sehen, Söhnchen! Nichts, was dir zwischen den Fingern zerrinnt.«
    Ehe er etwas antworten konnte, warf sie sich gegen ihn zurück, und sie beide kamen übereinander im Schlamm zu liegen. »Wir sind da, Söhnchen. Bitte sie nur demütig um Hilfe, dann wird schon alles gut gehen.« Sie rappelte sich auf, mit den Beinen zappelnd und den Eimern scheppernd.
    Laurenz war es mit einem Mal ziemlich mulmig zumute. Die ganze

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