Opus 01 - Das verbotene Buch
diesmal mehr aus Ergebung und Mattigkeit. Wieder erblickte er in seinem Innern den Lichtstrahl, der sein magisches Herz mit jenem silbrigen zweiten Lichtquell verband.
Was hatte es mit diesem Lichtfleck auf sich? Es war nicht Kronus und es war erst recht nicht Johannes – der lag da drüben bei den Bäumen auf seinen Knien, angeleint wie ein Hund und sogar zum Räubern von fremden Lichtquellen offenbar zu erschöpft.
Metallisch klirrten die Axthiebe und jedes Mal antwortete der Baumstamm mit lauterem Knirschen und Ächzen. Noch zwei, drei Schläge, dann würde er zu Boden krachen.
Sie werden mich töten, Herr. Wenn Ihr mich hört, so gebt mir ein Zeichen. Beschwörend lauschte er noch einmal in sich hinein und zugleich hinaus in die schweigende Weite der Geisterwelt.
Da spürte er mit einem Mal ein Ziehen von seinem Nabel bis in den Hals hinauf und zugleich ein Sausen in seinem Kopf, wie bei heftigem Schwindel. Und irgendwo in ihm erhob sich eine Stimme, die hell, fast zart und doch kräftig klang:
Wer ist da?
Gänsehaut überlief ihn, auf seinen Armen, auf Brust und Rücken – dabei fröstelte er längst nicht mehr.
Heda?
Die Stimme erklang in seinem Kopf und doch irgendwo weit außerhalb – vom Himmel her, aus der Tiefe von Wald und Schlucht. Und sie erklang auch nicht eigentlich – es war mehr ein eindringliches Raunen, ähnlich wie Traumgeflüster. Wie das Wispern von Blumen und Erdkrumen in jenen Momenten zwischen Schlaf und Wachen, in denen wir unabweisbar spüren, dass es auf der ganzen Welt nichts Unbelebtes gibt …
Ist dort wer?
Und dass Bäume und Gräser, Felsen und Bäche, ja selbst Sand und Kiesel, Staub und Asche beseelt sind und am lebendigen Ganzen gerade so teilhaben wie wir selbst.
Kronus? Noch einmal dachte Amos beschwörend seinen Namen, dabei fühlte er längst, dass jener silbrige Lichtquell, die helle und doch kräftige Gedankenstimme nicht dem weisen alten Mann zugehören konnten. Aber die Gabe der Gedankenmagie war also doch in ihm lebendig geworden – und wem sonst sollte er diese Botschaft zujubeln, wenn nicht seinem geistigen Vater, dem weisesten Magier weit und breit?
Auch wenn ich es nicht geschafft habe, Euer Buch zu retten, Herr, so ist es mir doch noch geglückt, auf magischem Weg Gedanken zu empfangen.
Wieder verspürte er jenes Ziehen von seinem Bauch her und ein Sausen hinter der Stirn.
Ich heiße nicht Kronus. Und ich kenne auch niemanden, der so heißt.
Das Herz begann ihm in der Brust zu klopfen, so heftig, dass es fast die krachenden Schläge von draußen übertönte. Nur wenige Worte hatte sie damals zu ihm gesagt – eigentlich nur jenes patzige »Was denn gemacht?« ihm dort am Brunnen in Nürnberg hingeworfen. Und doch erkannte er den Tonfall selbst in ihrer Gedankenstimme wieder.
Wie heißt du denn sonst? Mit aller Beschwörungskraft, die Amos aufbringen konnte, schickte er die Frage zu ihr hinaus.
Klara , antwortete sie – in seinem Kopf und irgendwo dort draußen. Ich heiße Klara Thalgruber, und wer bist du?
2
E
r hatte ihre Antwort längst geahnt
und doch setzte sein Herz abermals für einen halben Schlag aus. Es geahnt und gehofft und gegen jede Wahrscheinlichkeit geglaubt: dass sie es war, dass nur sie allein es sein konnte. Sie – Klara. Dabei hatte er nicht die schattenhafteste Vorstellung, wie das alles möglich war.
Ich bin … mein Name ist … o mein gütiger Gott … Und noch weniger hätte er sich jemals träumen lassen, dass man in Gedanken stammeln könnte. Ich … ich bin Amos von Hohenstein.
Die Tränen schossen ihm nur so aus den Augen – vor Erleichterung, Erstaunen, Dankbarkeit. Er musste sich an der Wand abstützen, so schwindlig war ihm, obwohl er doch bereits auf dem Boden hockte.
Klara? Wir kennen uns aus Nürnberg. Du – du hast mir damals den Brief …
Geklaut – sag’s nur, Amos .
Er wischte sich das Wasser aus den Augen. Noch weniger hatte er gewusst, dass man mit seiner Gedankenstimme lachen konnte. Doch sie konnte es – sie, Klara, die grünäugige Diebin.
Aber es sollte ja nur eine Prüfung sein – wenn ich dir den Brief wirklich hätte klauen wollen, hättest du ihn nie zurückgekriegt .
Eine Prüfung? Warte – o mein Gott, sie sind schon …
Was ist mit dir, Amos? Du klingst so erschrocken. Wo bist du überhaupt?
Warte, Klara – ich …
Er konnte nicht anders, denn das Krachen und Ächzen von draußen wurde immer lauter – er öffnete seine Augen und die Verbindung zu Klara riss ab. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher