Opus 01 - Das verbotene Buch
einfach großartig. Das Herz klopfte ihm immer noch wild in der Brust, aber jetzt war es kein ängstliches Pochen mehr, sondern ein triumphales Trommeln. Hatte er wirklich eben noch geglaubt, dass ihn die Bücherjäger zur Strecke bringen würden? Und hatte er vorhin noch gedacht, dass er vor Erschöpfung im nächsten Moment umfallen würde? Jetzt kam ihm das alles vollkommen unsinnig vor. Er war so viel schlauer und kühner als die Männer da draußen. Er war unermüdlich und unbesiegbar. Denn schließlich besaß er magische Fähigkeiten – und er hatte die allerbeste Verbündete gefunden, die er sich nur wünschen konnte. Auch wenn ihm nach wie vor ganz und gar unbegreiflich war, wie das alles zusammenpassen sollte – wie es möglich war, dass Klara so wie er die beiden ersten Geschichten aus dem
Buch der Geister
gelesen hatte und dass sie gerade jetzt mit ihm Verbindung aufgenommen hatte, um ihm aus dieser tödlichen Falle herauszuhelfen.
Was ist passiert? Ihre helle, kräftige Gedankenstimme, die ihrer normalen Stimme so ähnlich war – sofort sah er Klara wieder vor sich, wie sie damals in Nürnberg auf dem Brunnensims gesessen und ihn frech angegrinst hatte.
Er musste gleichfalls grinsen – halb wegen dieser Erinnerung und halb vor Stolz und Siegesrausch. Was passiert ist? Ich hab die Brücke der Bücherjäger in Stücke geschossen! Zu Trümmern undKleinholz. Einer von ihnen ist in die Schlucht gestürzt. Und einen ihrer Falken hab ich mit meinem Dolch verletzt .
Gut gemacht. Sie hielt kurz inne. Du Armer.
Das brachte ihn für einen Moment aus der Fassung. Wieso arm?
Na ja – weil du andere Lebewesen verletzen oder sogar töten musst, damit sie dir nichts antun können .
Darüber musste er erst einmal einen Moment nachdenken. Jetzt sind sie alle da hinten bei den Bäumen in Deckung gegangen , teilte er ihr dann mit . Skythis – das ist der oberste Bücherjäger – und die beiden Gepanzerten. Nur Johannes liegt noch wie vorhin auf dem Boden – gefesselt und reglos. Vielleicht ist er tot.
Erst als er ihr diese Gedanken gesandt hatte, wurde ihm klar, dass er jetzt beides auf einmal konnte – ihr Gedanken schicken und gleichzeitig sehen, was um ihn herum passierte. Ohne es sich vorher groß zu überlegen, hatte er seine Augen halb geschlossen und auf diese Weise beides zugleich im Blick. die Bücherjäger unter den verkümmerten Fichten und den kräftigen, wie von Sternengeflimmer umgebenen Lichtstrahl, der ihn mit Klara verband.
Ich sehe ihn. Das ist großartig, Amos. Mutter Sophia hat immer gesagt …
Du siehst wen?, fiel er ihr ins Wort. Und wer ist überhaupt diese Mutter Sophia?
Den Jungen, den du Johannes genannt hast. In ihrer Gedankenstimme schwang Mitleid mit . Verstehst du nicht, Amos, etwas ist anders als eben noch: Ich kann nicht nur die Wörter empfangen, die du mir sendest – ich kann jetzt auch sehen, was du gerade anschaust. Den steinernen Rahmen der Luke. Draußen den kahlen Fels, die Männer unter den Bäumen und den Jungen, der gefesselt am Boden liegt.
Warum konnte sie das – und er nicht? Amos spürte einen hässlichen Stich in seinem Innern: Eifersucht, Neid. Er versuchte, das Gefühl niederzukämpfen, es war ihm peinlich und es kam ihm ganz und gar unpassend vor. Aber es ließ sich nicht niederkämpfen, im Gegenteil – es wurde immer stärker.
Warum kann ich das nicht: sehen, was du gerade siehst?
Weil, na ja … weil du eben besser bist. Du kannst mir solche Gedankenbilder schicken – ich kann das leider nicht.
Er glaubte ihr kein Wort. Wieder kam es ihm vor, als ob sie sich über ihn lustig machen würde – so wie damals in Nürnberg, als er sie angeschrien hatte: »Warum hast du das gemacht?« Und sie hatte nur zurückgefragt: »Was denn gemacht?« – und dabei auch noch frech gegrinst.
Und woher kennst du überhaupt die beiden Geschichten aus dem
Buch der Geister
? Er wollte sie das gar nicht fragen, jedenfalls nicht gerade jetzt – aber er konnte nicht anders. Schon gar nicht wollte er sich mit Klara streiten – er brauchte sie doch, und er hatte seit Wochen davon geträumt, sie wiederzusehen, sie überhaupt erst richtig kennenzulernen. Aber er musste das jetzt wissen, es ließ ihm einfach keine Ruhe. Ich meine , fügte er hinzu, Kronus ist doch gerade erst mit dem Buch fertig geworden, und ich dachte, ich wäre derjenige, dem er es anvertraut .
Der bist du auch, Amos. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich …? Er spürte, dass sie aufrichtig erschrocken
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