Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
mehr?«
    Der Alte riss die Augen auf. Sein Haar war grau und dünn geworden, die ganze Gestalt wirkte niedergedrückt. »Herr Amos«, murmelte er und ließ das Gewehr sinken. In seinem zerfurchten Gesicht schienen Freude und Angst miteinander zu kämpfen.
    Hinter ihm tauchte seine Frau auf, in der Hand eine Laterne mit einer flackernden Kerze darin. Sie leuchtete über seine Schulter nach draußen und fing gleich an zu zetern: »Macht Euch nur wieder davon, kleiner Herr! Oder sollen diesmal wir verbrennen?«
    »Sei still, Josepha«, befahl ihr der Verwalter. »Vor dir steht der junge Herr Amos. Ihm gehört alles hier – jeder Stein, das ganze Tal.«
    »Nichts gehört ihm«, beharrte die Alte und schickte finstere Blicke zu Amos und Klara hinaus. »Nicht einmal sein eigenes Leben. Du weißt so gut wie ich, dass er von der Obrigkeit gesuchtwird. Das letzte Mal, als er hier war, hat der halbe Hof gebrannt. Wenn sie ihn finden, werfen sie diesmal ihn selbst ins Feuer.«
    Hubertus schüttelte den Kopf und schob seine Frau von der Tür weg. »Bitte hört nicht auf sie, junger Herr. Sie weiß vor lauter Angst nicht mehr, was sie redet. Das hier ist Euer Eigentum – tretet ein, fühlt Euch zu Hause. Es ist nur eine kümmerliche Hütte, überhaupt kein Vergleich mit früher – aber es gehört alles Euch.«
    Amos schaute zu Klara hinauf, die noch im Sattel saß. Ich hatte mir den Empfang anders vorgestellt, aber lass uns trotzdem bleiben. Ich muss ihm ein paar Fragen stellen – und ich brauche dringend ein paar Stunden Schlaf .
    Sie nickte fast unmerklich und lächelte ihm dabei zu. Ich werde deinen Schlaf bewachen. Und vorher deine Wunden versorgen, mein Auserwählter . Sie glitt von der Füchsin und summte ihr einige beruhigende Laute ins Ohr.
    Amos’ Herz klopfte rascher – wie jedes Mal, wenn sie ihn auf diese aufregend mehrdeutige Weise »mein Auserwählter« nannte. Und dazu noch so sinnverwirrend lächelte. Was hast du zu der Stute gesagt?
    Dass ich sie gleich in den Stall bringen werde und wir beide auch dort schlafen werden.
    Amos sah sie von der Seite argwöhnisch an, aber nichts in ihrem Gesicht deutete daraufhin, dass sie ihn zum Besten hielt. Hinter ihr trat er ins Vogthaus und schloss die Tür. Sie fanden sich in einer engen Stube wieder. Selbst die Balken in der niedrigen Decke und in den windschiefen Wänden waren schwarz vor eingebranntem Ruß. Das ganze Häuschen roch erstickend nach der Katastrophe von damals, die kein Blitzschlag eines blindwütigen Schicksals gewesen war, sondern kaltblütiger Mord.
    Hubert bat sie an seinen Tisch und befahl der grimmigen Josepha, ihren Gästen eine Vesper aufzutischen. »Ihr seid doch sicher hungrig und durstig, junger Herr?«
    Amos bejahte aus tiefstem Herzen. Erst mit einiger Verspätung fiel ihm ein, dass er seine Begleiterin nicht vorgestellt hatte. »Dasist Klara, eine gute Freundin von mir.« Wie sie mit Vatersnamen hieß und was es sonst noch mit ihr auf sich hatte, ließ er vorsichtshalber im Dunkeln.
    »Und von Oda«, ergänzte Klara und sah ihn dabei so ernst an, als ob sie schon alles wüsste. Ihre Augen waren auf einmal dunkelgrün, fast schwarz vor Trauer und Schmerz.
    Er senkte den Blick und achtete sorgsam darauf, dass sie seine Gedanken nicht mitbekam. Hubertus und Josepha wussten offenbar schon, was auf Burg Hohenstein geschehen war, und er konnte nur hoffen, dass die beiden Alten nicht darauf zu sprechen kamen.
    Neben Klara setzte er sich auf die Holzbank, die genauso wie der Tisch aus alten Brettern kunstlos zusammengezimmert worden war. Wie ärmlich und heruntergekommen hier alles ist, dachte Amos – und wie strahlend schön sie inmitten dieser Schäbigkeit. Sie – Klara. So stolz und schön wie eine Gestalt aus den alten Sagen, die der Vater ihm und Oda früher erzählt hatte – aus längst versunkenen Zeiten, in denen Mädchen und Frauen genauso wie Jünglinge und Männer kühn und stark gewesen waren. Es waren Geschichten, die sogar der Vater nur mit gedämpfter Stimme und wachsamen Seitenblicken wiederzugeben wagte, damit kein ungebetener Lauscher etwas davon mitbekam. Solcherlei Heidensagen zu erzählen, hatte der Vater ihnen eingeschärft, sei heutzutage lebensgefährlich. Mit Feuer und Schwert löschten die Kirchenkrieger alles aus, was von jenen alten Zeiten noch lebendig geblieben sei – die heidnischen Leute selbst, ihre Überlieferungen, ja sogar die Erinnerungen an ihre Taten und Gesänge, ihr Wissen und ihre

Weitere Kostenlose Bücher