Opus 01 - Das verbotene Buch
aufgeschlossen und Johannes schaute unruhig vor und zurück. Er saß in der Falle.
»Gib mir das Buch!«, rief Amos. Es sollte ruhig und bestimmt klingen, aber vom Rennen war er vollkommen außer Atem und so wurde es nur ein abgehacktes Keuchen. »Ich will dir … nichts tun, Johannes … aber gib mir das Buch!«
Amos lief weiter auf ihn zu und streckte dabei die Hand nach ihm aus. In den Augenwinkeln beobachtete er Klara, die auf ihrem fuchsroten Pferd einfach atemberaubend aussah – mit ihren funkelnd grünen Augen, die noch größer waren und noch leuchtender grün als in seiner Erinnerung, mit dem im Mondlicht silbrig schimmernden Haar, das ihr offen auf die Schultern fiel, und dem derben Reitergewand, das an ihrer zierlichen Gestalt wie eine reizvolle Verkleidung aussah.
Er lächelte ihr zu, ohne Johannes aus den Augen zu lassen. Der magere Bursche starrte ihm mit einem ergebenen Gesichtsausdruckentgegen und einen Moment lang glaubte Amos, dass Johannes nun einfach aufgeben würde. Er sah grässlich abgezehrt aus, das Hemd hing ihm triefend nass und zerfetzt am knochendürren Leib. Doch gerade als Amos ihm das Buch abnehmen wollte, riss sich Johannes die Streitaxt aus dem Gürtel und schlug aus voller Kraft auf ihn ein.
Klara schrie auf. Ihr Pferd wieherte und bäumte sich neuerlich empor. Mit der gezähnten Hackseite sauste die Streitaxt auf Amos Kopf nieder und er warf sich in blindem Entsetzen zur Seite. So streifte ihn der tödliche Schlag nur eben noch an der rechten Schulter, doch es tat ekelhaft weh – gerade dort hatte ihm der Falke seine Krallen ins Fleisch gegraben.
»Klara, pass auf!«, schrie er, aber da war Johannes bereits herumgefahren und kroch und wühlte sich auf allen vieren unter dem Pferdeleib hindurch.
Noch ehe sich Amos gänzlich aufgerappelt hatte, rannte Johannes schon weiter talwärts den Weg entlang. In seiner Linken schwenkte er nun die Streitaxt, in der Rechten das Buch, und Amos dachte, dass er in dieser Nacht nicht mehr die Kraft und den Mut aufbringen könnte, um den verdammten Burschen zum Kampf zu stellen – Streitaxt gegen Kurzschwert. Er konnte sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten, und die Streitaxt war einfach eine grässliche Waffe – vor allem, wenn ein Irrsinniger oder von Dämonen Besessener wie Johannes damit blindlings um sich schlug.
Während er diesen trübseligen Gedanken nachhing und vor Müdigkeit den Boden unter sich schon schwanken fühlte, riss Klara ihre Fuchsstute herum und preschte hinter Johannes her. Der blieb stehen und hob drohend die Axt, doch Klara lachte nur auf und drängte ihr Pferd näher an ihn heran. Er musste zurückweichen, um nicht von den Hufen des mächtigen Tiers getroffen zu werden, und Klara trieb ihre Stute im Kreis um ihn herum, schneller und schneller, beugte sich dann blitzschnell zu ihm herab und bekam ihn bei dem Strick zu fassen, der ihm am Rücken herunterhing.»Auf, Füchsin, hüa!«, schrie sie und riss Johannes hinter sich her. Einige Schritte stolperte er ihr rückwärts nach, dann verlor er das Gleichgewicht, fiel zu Boden und wurde nur noch wie ein Sack voller Lumpen mitgeschleift. Die Streitaxt fiel ihm aus der Hand, bloß das Buch hielt er noch krampfhaft fest, presste es sich mit beiden Armen an die magere Brust wie seinen allerliebsten Schatz, ohne den er nicht eine Stunde weiterleben könnte.
Klara brachte die Füchsin zum Stehen. Als Amos bei ihnen war, lag Johannes mit geschlossenen Augen am Wegrand. Er schien zu schlafen und in diesem Moment sah er, vom Mondlicht beschienen, ganz friedlich aus, wie ein argloses Kind.
Sie schwang sich aus dem Sattel und wollte sich neben Johannes ins Gras kauern. Aber Amos legte ihr seine Hand auf die Schulter und sah sie beschwörend an.
Vorsicht, vielleicht verstellt er sich nur . Er zückte sein Kurzschwert und hielt es drohend auf den jungen Bücherjäger gerichtet, während er sich neben ihm auf die Knie niederließ. Noch einmal sollte ihm nicht passieren, was er vorhin mit dem Gepanzerten erlebt hatte.
Aber Johannes schien wirklich nicht bei Bewusstsein. Seine Arme fielen ihm schlaff an den Seiten herab, als Amos das Buch darunter hervorzog. Doch sein knochiger Brustkorb hob und senkte sich unter regelmäßigen Atemzügen.
»Er ist am Leben.«
Klara lächelte Amos an. Sie kniete bei Johannes’ Füßen und riss ihm eben einen losen Tuchfetzen von seinem Hosenbein herunter. »Er hat sich den Fußknöchel verletzt.« Mit geschickten Handgriffen
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