Opus 01 - Das verbotene Buch
wickelte sie ihm den notdürftigen Verband um den rechten Knöchel und knotete ihn fest.
Amos hockte neben ihr und schaute ihr zu und fühlte sich so glücklich wie in seinen allerschönsten Träumen. Nein, tausendmal glücklicher, denn das hier geschah in Wirklichkeit.
»Als Bücherjäger fällt er wohl für eine Weile aus.« Sie erhob sich, reichte Amos eine Hand und zog ihn mit sich hoch.
Sie waren beide fast genau gleich groß, und als sie im Mondlicht so nah voreinander standen, vergaß Amos für einen langen Augenblick alles außer ihr. Er staunte sie einfach an wie eine Mondfee und spürte selbst, dass er ziemlich blöde grinste. Liebend gern hätte er irgendetwas gesagt, das sie zum Lachen bringen würde und vielleicht sogar dazu, ihn zu küssen. Aber stattdessen fiel ihm ein, dass sie noch gar nicht wissen konnte, was mit Oda passiert war. Und dass er unmöglich über irgendetwas anderes mit ihr reden konnte, solange sie nicht Bescheid wusste. Aber an Oda in ihrem steinernen Kasten auch nur zu denken, war weit mehr, als er jetzt noch verkraften könnte.
So war er beinahe erleichtert, als Klara seine Hand losließ und sich zu ihrem Pferd umwandte. Sie holte eine Decke aus der Satteltasche und warf sie ihm zu. »Ich schätze, die kannst du gebrauchen«, sagte sie.
Dankbar fing er die Decke auf und hüllte sich darin ein. Die Nacht war kühl und er hatte nicht einmal mehr ein trockenes Hemd. Sein Bündel war zerfetzt, und den größten Teil des Inhalts hatte er während seiner wilden Flucht bis hierher wohl verloren. Jedenfalls fühlte es sich beunruhigend leicht an, aber selbst um sein Bündel zu untersuchen, fehlte ihm die Kraft. Auch sein kostbares Knotenseil hatte er in der Schlucht eingebüßt, ebenso den kleinen Lederbeutel mit Kronus’ Gulden, den er immer vor der Brust getragen hatte. Nur Klaras Amulett mit dem Augenstein trug er wie durch ein Wunder noch immer um den Hals.
Vor allem aber hatte er das Buch zurück und er war bei Klara. Alles andere war im Augenblick egal.
Sie schwang sich in den Sattel und klopfte einladend auf die Kruppe ihrer Stute. Steig zu mir auf mein Pferd, Auserwählter . Spöttisch lächelte sie auf ihn herunter.
Das ließ sich Amos nicht zweimal sagen. »Wo hast du das gelernt?«, fragte er, während er sich hinter ihr auf der Füchsin zurechtsetzte.
»Zu reiten oder Verbände anzulegen?« Sie schaute zu Johannes hinab, der friedlich schlafend wie ein kleiner Knabe am Wegrand lag. »Meine Eltern waren fahrende Leute – Schausteller und Heilerin. Ich bin von frühester Kindheit an mit ihnen durch die Welt gezogen – bis sie vor bald vier Jahren umgekommen sind.« Sie setzte die Füchsin in Bewegung. »Leg deine Arme um mich.«
Auch dafür brauchte er keine zweite Aufforderung – er schlang seine Arme um ihre Mitte. Es war einfach großartig, so mit Klara durch die Nacht zu reiten, und bestimmt hätte er sich noch viel wunderbarer gefühlt, wenn ihm nicht vor Erschöpfung andauernd die Augen zugefallen wären.
»Wie umgekommen?«, fragte er.
»Mordbrenner. Sie sind in der Nacht gekommen und haben unseren Wagen angesteckt. Meine Eltern wurden vorher gefesselt – sie sind im Wagen elend verbrannt. Ich höre heute noch beinahe jede Nacht ihre Schreie. Mich haben sie im Schlaf aus dem Wagen geholt und in sicherer Entfernung in einen Graben gelegt – aus Mitleid vielleicht.«
Er drückte sich gegen ihren Rücken, aber behutsam, um ihr nicht lästig zu werden. Er spürte ihren schlanken, biegsamen Körper in seinen Armen und roch den Duft ihres kitzelnden Haars. Die Lebensregel für angehende Ordensbrüder fiel ihm ein, die ihm Kronus mit auf den Weg gegeben hatte: »In Herzensdingen lebe der Novize strikt enthaltsam.« Amos wurde ein wenig heiß, aber auch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.
Er stellte sich vor, wie Klara als junges Mädchen nachts erwacht war und ihre Eltern in dem brennenden Wagen schreien hörte. Aber nicht aus Mitleid hatten die Mordbrenner sie vorher in Sicherheit gebracht – das wurde ihm in diesem Moment zwischen Traum und Wachen klar. Sowenig wie Höttsche und seine Kumpane damals ihn aus Mitleid verschont hatten.
Doch er dachte es still für sich, damit sie nichts davon mitbekam. Nicht jetzt, nicht mehr in dieser Nacht.
Endlich ließen sie den Wald hinter sich und Wunsiedel lag still und dunkel vor ihnen. Klara wollte ihr Pferd zum Stadttor lenken, aber Amos hielt sie nochmals zurück. Aus Vorsicht wechselte er wieder in die
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