Opus 01 - Das verbotene Buch
eigenen Kerkermeister und verschmachtet in eigenhändig gemauerten inneren Verliesen.« Es klang, als hätte er mehr mit sich selbst oder vielleicht mit seiner Frau gesprochen. Doch dann hob er den Kopf und sah Amos an. »Ich bin kein besonders mutiger Mann, Herr«, sagte er, »aber zumindest Euch und dieses eine Mal will ich frei heraus sagen, was ich weiß und wie ich mir die Dinge zusammenreime.«
Josepha stampfte mit dem Fuß auf, lief aus der Stube und schlug hinter sich krachend die Tür zu.
»Sie meint es nicht böse«, sagte Hubert, »aber sie hat noch mehr Angst als ich. Und wohl auch noch Übleres zu befürchten – denn gerade die Weiber traktieren die Inquisitoren mit ihren Zangen und Rädern am ärgsten.« Er schien über seine eigenen Worte zu erschrecken und verfiel wieder für einige Augenblicke in brütendes Schweigen.
Amos spürte Klaras beschwörenden Blick auf seiner rechten Schläfe. Dränge ihn nicht. Er will sein Gewissen erleichtern. Aber wenn du ihm zusetzt, erfährst du nichts von ihm .
Ich werde versuchen, meine Ungeduld zu bezähmen. Er lächelte Klara zu und schaute dann wieder zu Hubertus. Schweigend wartete er, dass der alte Gutsvogt endlich weitersprechen würde. Als ich ein kleiner Knabe war, dachte er, bin ich an Huberts Hand auf unsicheren Beinen über den Hof geschwankt. Und wenn ich durstig war, bin ich zu Josepha gerannt und sie hat mir einen Becher Milch gegeben.
»Ich wollte Euch von Ritter Kasimir erzählen«, sprach Hubert schließlich stockend weiter. »Euer Großvater war ein gebildeterund kunstsinniger Herr, der sich vor allem für die geheimen Künste der alten Zeiten und Völker begeisterte: Zauberei, Prophetie, Geisterbeschwörung. Damit stand er keineswegs allein – nicht wenige Gelehrte, auch Kirchenmänner und Abkömmlinge von Fürstenhäusern dachten und fühlten wie er. Und Herr Kasimir stand mit vielen von ihnen in Verbindung – bald jeden Monat fuhren Kutschen aus Venedig oder Florenz, aus Heidelberg oder Prag auf den Hof von Burg Hohenstein. Künstler und Philosophen besuchten meinen Herrn, Schriftgelehrte wechselten Briefe mit ihm, sandten ihm kostbare Bücher aus dem alten Griechenland und Ägypten oder Bruchstücke von uralten heidnischen Fundstücken, die sie weiß der Himmel wo ausgegraben hatten. In diesem hochgelehrten Zirkel war man sich einig, dass die alten Künste viel zu kostbar seien, als dass man sie einfach so untergehen lassen dürfte. Doch ebenso stimmten Herr Kasimir und die anderen Herren darin überein, dass die Zeiten der großen Magier, der Alchimisten und Erschaffer künstlicher Kreaturen unwiederbringlich vorbei seien.«
Hubertus rieb sich gedankenverloren über Stirn und Augen. Seine Hände lagen längst nicht mehr starr und geballt vor ihm auf dem Tisch, sondern fuhren, während er redete, lebhaft in der Luft hin und her. Der ganze Mann schien eigentümlich verjüngt und belebt, so als ob er selbst von magischen Geistern ergriffen worden wäre.
»In dieser Überzeugung«, fuhr er fort, »wurden sie nur noch bestärkt, als Papst Innozenz III. anno 1484 die Bulle Summis desiderantes affectibus erließ – ein über alle Maßen folgenreiches Schriftstück, Herr Amos. Denn mit dieser sogenannten Hexenbulle befahl der Heilige Vater, alle Magier und Hexen im gesamten Erdkreis einzufangen und mitsamt ihren teuflischen Schriften und Zauberdingen im Feuer zu verbrennen.«
Er unterbrach sich abermals und Amos dachte: Also haben ich und die Hexenbulle im selben Jahr das Licht der Welt erblickt. Er trank einen Schluck Wasser und lächelte Klara zu. Er fühlte sich hellwach und gleichzeitig wie im allertiefsten Traum.
»Herr Kasimir und seine Geistesbrüder – so nannte Euer Großvater seinen gelehrten Zirkel bisweilen – hatten schon vorher beschlossen, die Essenz der nunmehr verbotenen alten Künste in einem einzigen Buch zusammenzufassen. Auch die Hexenbulle änderte nichts an diesen Plänen – nur dass sie ihre Aktivitäten und überhaupt ihren ganzen Bund fortan unter einem Schleier strengsten Stillschweigens verbargen. Sie hatten immer schon ein Geheimnis um ihre wahren Absichten gemacht: Nach außen hin waren sie samt und sonders gottfromme Herren, die sich für Kreuzzüge einsetzten, die Ausschmückung der Kirchen förderten und bei ihren Treffen über die Lehren des Kirchenvaters Augustinus oder die Reform der Mönchsorden debattierten. Im Geheimen aber sammelten sie alle Schriftstücke, die Verse und Epen der alten Heiden,
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