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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Gedankensprache.
    Warte, Klara. In der Stadt ist es für mich zu unsicher – und für dich jetzt wohl auch.
    Ich habe das Pferd nicht geklaut – falls du das meinst. Ich habe mein ganzes Geld dafür zurückgelassen – fast fünf Gulden.
    Das meine ich ja auch nicht , behauptete er . Aber bestimmt wissen die Stadtwächter längst, dass die Bücherjäger hinter mir her sind .
    Und wo sollen wir hingehen? , fragte sie.
    Zu meinem Vaterhaus. Es ist nicht weit von hier – nach Norden zu im übernächsten Tal. Dort werden sie mich nicht suchen .
    Sie wandte sich um und lächelte ihn an. Und du – was hoffst du dort zu finden?
    Ein paar Antworten. Und für uns beide ein Bett für die restliche Nacht.
7
    M
itternacht war nicht mehr fern,
als sie den Gutshof in dem kleinen Tal erreichten, das für Amos in seinen ersten Kinderjahren eine ganze Welt gewesen war. Wenn seine Eltern oder Hubertus, der Gutsvogt und Vertraute des Vaters, über »die Welt da draußen« redeten, hatte er lange Zeit geglaubt, dass sie einfach dieses Tal meinten. Mit seinen Hügeln und Feldern, Wiesen und Wäldern, der Mühle am Gießbach und dem Meierhof hinter dem Fichtenforst schien es ihm damals unermesslich groß. Der Gutshof selbst befand sich auf einem kleinen Hügel inmitten des Tals. In dem sonnenhellen Herrenhaus, den Scheunen und Stallungen ebenso wie im Gesindehaus gegenüber kannten Amos und Oda als Kinder jeden Winkel und jedes Wesen, die zweibeinigen so gut wie die vierfüßigen und die geflügelten Bewohner.
    Seit der Brandnacht vor drei Jahren war er nie mehr hierhergekommen. Aber aus den Erzählungen von Oda wusste er ungefähr, was ihn erwarten würde. Letztes Jahr, als sie mit Tante Ulrika zu Besuch auf Burg Hohenstein gewesen war, hatten die beiden auf dem Hinweg hier vorbeigeschaut. Oda hatte sich unter Tränen geweigert, auf dem Gutshof zu übernachten, und die Tante angefleht, noch am selben Tag mit ihr weiterzufahren. Tante Ulrika hatte sich schließlich erweichen lassen, obwohl ihr vor dem »moralischen Morast«, in dem ihr Bruder Heribert auf Burg Hohenstein hauste, genauso graute wie Oda vor den Ruinen ihrer Kindheitswelt.
    In ihren Briefen hatte Oda ihm mehrfach beschrieben, wie traurig und unheimlich ihr damals zumute gewesen war. Aber nun erst, während die Fuchsstute ihn und Klara die einst vertrauten Wege hinauftrug, verstand Amos so richtig, was Oda an jenem Tag empfunden haben musste.
    Alles hier fühlte sich viel zu nah und gleichzeitig grässlich fremd an.
    Dort drüben im Wald haben wir immer Verstecken gespielt . Er deutete zu dem kleinen Tannengehölz, das sich unter ihrem Hügel gen Süden erstreckte. Und da hinten geht es zum Meierhof . Die Mutter hat uns immer abwechselnd losgeschickt, um Milch und Käse zu holen. Siehst du, Klara?
    Ach, du Armer . Sie schaffte es wieder, mit ihrer Gedankenstimme zu seufzen, und diesmal erstaunte es ihn nicht, dass sie ihn bemitleidete. Sie beide hatten ihre Eltern auf ähnliche Weise verloren und schon das allein knüpfte zwischen ihnen ein Band der Vertrautheit.
    Unter dem funkelnden Sternenhimmel folgten sie dem schmalen Fahrweg den Hügel empor, und Amos versuchte, sich innerlich zu wappnen. Oben würde sein Blick als Erstes auf die Ruine ihres Vaterhauses fallen, das laut Oda nicht wiederaufgebaut, aber auch nicht gänzlich abgerissen worden war. Aus Bruchstücken des einstigen Herrenhauses hatte Hubertus direkt neben der Ruinefür sich und seine Frau eine sehr viel bescheidenere Behausung errichtet. » Ein herzzerquetschender Anblick, Brüderlein «, hatte Oda ihm einmal geschrieben, » eine Stätte des Grauens wohl auch für den unbeteiligten Betrachter: die rußgeschwärzte Ruine, von der nur ein paar Mauern stehen geblieben sind, und daneben das windschiefe Vogthäuschen, notdürftig aus ebensolchen schwarzen Trümmerstücken erbaut .«
    Klara lenkte die Füchsin durch das Hoftor, das wie in glücklicheren Zeiten weit offen stand. Doch Oda hatte die Atmosphäre des früher so heiteren Ortes genau getroffen: Wie von bösen Kräften verzaubert, ragte das Ruinengemäuer vor ihnen auf. Daneben stand furchtsam hingeduckt das ebenso rußfarbene Vogthäuschen.
    Noch ehe sie aus dem Sattel gestiegen waren, flog die Tür auf und der alte Hubertus erschien auf der Schwelle. Er hielt ein Gewehr auf sie gerichtet und schrie: »Wer da? Keinen Schritt näher oder es knallt!«
    »Ich bin es doch, Hubert«, sagte Amos und glitt vollends vom Pferd herab. »Erkennst du mich nicht

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