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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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nicht, es vor Oda zu verbergen. Je länger sie schrie und auf ihn einschlug und je länger sie beide heulten, desto leichter fühlte er sich.
    »Jetzt lass gut sein, Schwesterchen«, sagte er irgendwann. Seine Kehle brannte, als ob er Feuer geschluckt hätte. Er stand auf, umarmte sie kurz und federleicht, wie er es von Kronus kannte.»Ich bin todmüde, Oda«, sagte er. »Zeigst du mir, wo ich schlafen kann?«
    Auch Oda wischte sich die Tränen aus den Augen. »Aber nur, wenn du mir morgen früh hilfst, Tante Ulrika zu überreden«, brachte sie mühsam hervor. »Sie muss einwilligen, dass ich dich im Herbst auf Hohenstein besuchen darf.«
    »Versprochen«, sagte er. Sie grinsten sich verschwörerisch an. Es war wie in alten Tagen – jedenfalls fast.
9
    »
D
enk scharf nach,
Amos«, sagte Valentin Kronus. »Wie sah der Mann aus, der zu dir gesagt hat, bei ihnen gebe es keinen Hebedank?«
    Amos schüttete erst dem Rappen, dann dem Braunen einen Eimer voll Hafer in die Krippe. Auf dem Rückweg von Nürnberg waren sie wiederum in scharfem Trab geritten und hatten die ganze Strecke in kaum anderthalb Tagen zurückgelegt. Nachdem er sich unten in Kirchenlamitz von den beiden Geleitsoldaten verabschiedet hatte, war er geradewegs zu Kronus’ Hof heraufgejagt. Und noch ehe Amos die Pferde fertig versorgt hatte, war der alte Gelehrte hier im Stall aufgetaucht, offenbar neugierig, wie es seinem Boten in Nürnberg ergangen war. Neugierig, aber zugleich sonderbar gelassen, ja geradezu heiter – dabei musste ihm doch schon Amos’ bedrückter Gesichtsausdruck zeigen, dass die Reise gänzlich fehlgeschlagen war.
    »Er war in mittleren Jahren«, begann Amos. »Sein Haupthaar war schon gelichtet und eher grau als braun. Und er hatte einen griesgrämigen Zug um den Mund – so als ob er von Sorgen niedergedrückt würde.«
    »Gut beobachtet«, lobte Kronus. »Nun, dieser Mann ist Hebedank.« Sein Lächeln wurde noch heiterer und Amos verstand jetzt gar nichts mehr. »Gehen wir in die Bibliothek«, ordnete Kronusan. »Drinnen will ich dir alles erklären. Wie es sein kann, dass der Mann sich Hebedank nennt und Hebedank trotzdem nicht kennt. Und warum du ein guter Bote bist, obwohl du ihm den Brief nicht übergeben konntest.« Mit beschwingten Schritten verließ der alte Mann den Pferdestall und kehrte zum Haus zurück.
    Amos beeilte sich, ihm zu folgen. »Und dass gleich zwei Diebe versucht haben, mir Euren Brief zu entwenden, Herr – erheitert Euch das auch?« Er rief es mit erhobener Stimme, gegen das Tosen und Glucksen des Gründleinsbachs, der den Mühlhof umfloss – und mehr noch, weil er aufgebracht war. Wenn es Kronus mit dem Brief so eilig gewesen war, warum schien es ihn nun gar nicht zu bekümmern, dass Amos unverrichteter Dinge zurückgekehrt war?
    »Nein, Junge, es erheitert mich nicht.« Kronus trat ins Haus und verriegelte hinter ihm die Tür. »Es erstaunt mich allerdings auch nicht sehr«, fügte er hinzu. »Wir leben nun einmal in unruhigen Zeiten. An vielen Orten sind heutzutage mehr Gauner als brave Leute unterwegs.«
    »Aber sie haben sich beide nur für Euren Brief interessiert«, wandte Amos ein. »Meinem – Eurem – Geldbeutel haben sie überhaupt keine Beachtung geschenkt.« Er streifte sich den Riemen über den Kopf und wollte Kronus das Münzsäckchen zurückreichen. »Vier Gulden und vierzehn Groschen sind noch übrig«, sagte er und fing gleich an, seine Reisekosten vorzurechnen. »Zwei Gulden für den Onkel, zwölf Groschen für den Geleitdienst und vierzehn für Essen und Logis – macht zusammen drei Gulden und sechs Groschen.«
    Kronus nickte ihm zu, machte aber keine Anstalten, den Beutel entgegenzunehmen. »Die Diebe werden geglaubt haben, dass der Brief die weit wertvollere Beute sei. Und den Beutel behalte nur, Amos – wenn ich dich das nächste Mal um einen Gefallen bitte, wirst du ihn sowieso wieder brauchen.« Er zog sich hinter sein Pult zurück und fuhr mit dem Zeigefinger die Augenhöhlen des elfenbeinernen Totenkopfs nach. »Den Jungen in Pegnitz hastdu also in die Flucht geschlagen?« Das heitere Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück. »Und dem Mädchen in Nürnberg bist du sogar hinterhergerannt, um ihr die Beute wieder abzujagen? Ausgezeichnet, Amos – ich bin wirklich sehr zufrieden mit dir.«
    Amos wusste allmählich gar nicht mehr, was er sagen oder auch nur denken sollte. »Aber der Brief«, platzte er endlich heraus, »seid Ihr denn gar nicht enttäuscht, dass ich ihn wieder

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