Opus 01 - Das verbotene Buch
Abendessen auf: altbackenes Roggenbrot, einen Rest Weichkäse, dazu einen Krug voll Wasser.
Amos und Oda ließen es sich schmecken. Den Schwur schien Oda glücklicherweise vergessen zu haben – stattdessen kam sie auf die schreckliche Nacht vor drei Jahren zu sprechen, in der ihre Eltern umgekommen waren.
»Du hast mir das Leben gerettet, Amos«, sagte sie, »dafür werde ich dir ewig dankbar sein.« Sie lächelte ihn unter Tränen an.
»Unsere Eltern sind tot.« Er starrte trübselig in den Krug. »Und das werde ich mir mein Leben lang nicht verzeihen.«
»Aber, Amos, du warst zwölf Jahre alt – fast noch ein Kind!«
»Und wenn schon«, beharrte er, »ich hätte gegen die Mordbrenner kämpfen müssen. Anstatt mich mit dir im Keller zu verstecken.«
Glücklicherweise hatten sie ihr Abendbrot schon aufgegessen. Jetzt, da die Erinnerungen in ihnen wieder wach wurden, hätten sie keinen Bissen mehr herunterwürgen können.
Es war eine Nacht im Spätsommer gewesen. Seit Monaten schon versetzte eine Horde von Aufrührern und Mordbrennern das Wunsiedeler Land in Angst und Schrecken. Sie hetzten gegen alle mächtigen Herren – egal, ob es sich um Fürsten oder Bischöfe, um Ritter oder Gutsherren wie Amos’ und Odas Vater handelte. Hier und dort waren schon Gutshäuser angezündet, die Grundbesitzer von ihren eigenen Höfen verjagt worden.
In jener Nacht erwachte Amos, als in der Ferne stampfende Schritte und ein Durcheinander erregter Stimmen erklangen. Er schlich aus seiner Dachkammer und weckte seine Schwester, deren Zimmer gleich neben seinem lag. Mit Gesten bedeutete er ihr, dass sie nach unten gehen, sich verstecken mussten. Oda nickte stumm und Hand in Hand liefen sie auf der knarrenden Treppe hinab.
Eben als sie die Halle erreichten, zerbarst die Eingangstür mit schrecklichem Getöse. Im Schein einiger Lampen sahen sie, dass ihre Eltern mitten in der Halle standen, die Mutter mit einem Gewehr im Anschlag, der Vater mit gezogenem Schwert.
Mit dem Kopf machte er ihnen ein gebieterisches Zeichen – sie sollten sich im Keller verstecken. Zitternd liefen Amos und Oda die Kellertreppe hinab, in das hinterste Gewölbe, wo die große Steintruhe mit dem eingemeißelten Christuskreuz stand. »Falls wir angegriffen werden«, hatte der Vater ihm schon vor Wochen befohlen, »bringst du dich und deine Schwester in diesem Steinkasten in Sicherheit. Bleibt drinnen und rührt euch nicht, was auch hier oben geschehen mag.«
Amos hielt sich genau an diese Anweisung, auch wenn er sich tausendmal bezähmen musste, um nicht den Deckel zur Seite zu wuchten und wieder nach oben zu schleichen. Dorthin, wo Schüsse und das Klirren von Schwertern ertönten, Flüche und Schreie, schließlich das Prasseln und Fauchen von Flammen.Dann Schritte auf der Treppe und unten im Kellergang, immer näher bei ihnen, und Amos presste seine Hand auf Odas Mund, damit sie sich nicht durch ihr Schluchzen verriet. Die Kerle tappten eine ganze Weile im Keller herum, einmal erzitterte die Steintruhe unter einem heftigen Schlag oder Tritt, aber auf die Idee, in den Kasten zu schauen, kamen die Mordbrenner glücklicherweise nicht.
Erst viele Stunden später, als oben alles wieder ruhig geworden war, wagte es Amos, den Deckel über ihren Köpfen emporzustemmen. Von ihrem Haus waren nur ein paar rauchende Mauern und verkohlte Balken übrig geblieben. Die Körper ihrer Eltern waren zu formlosen Klumpen verbrannt, die Gesichter schwarz und unkenntlich geschrumpft.
»Nicht mal eine Woche vorher«, sagte Oda nun unter krampfhaftem Schluchzen, »hat unsere Mutter mich schwören lassen, dass ich immer auf dich achten werde, Amos – dass ich auf dich aufpassen werde, wenn sie einmal nicht mehr da sein sollten. Als ob sie geahnt hätte, dass sie nicht mehr lange leben würden. Und was machst du«, schrie sie plötzlich, »du nichtsnutziger Kerl?« Sie sprang auf, packte ihn bei seinem Wams und schüttelte ihn hin und her. Ballte die Hände und schlug mit ihren kleinen Fäusten auf ihn ein. »Du weißt ganz genau«, schrie Oda unter Tränen, »dass ich’s der Mutter geschworen habe – und lässt dich trotzdem von Onkel Heribert zu Schande und Frevel verführen!«
Er nahm es hin, dass sie ihn anschrie, schüttelte und schlug. Anstatt sich zu verteidigen, hob er nur die Arme vor seinen Kopf, damit ihre Hiebe ihn nicht im Gesicht treffen konnten. Dabei liefen ihm die Tränen nur so aus den Augen, aber es war ihm nicht peinlich, und er versuchte auch
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