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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Tür und Fenster lauerten und lauschten.
    Wieder nickte Kronus. Mit beiden Händen suchte er an den Seitenwänden seines mächtigen Schreibpultes Halt. Auf einmal sah er müde und hinfällig aus. »Wenn sie vom
Buch der Geister
und seinen magischen Kräften wüssten«, sagte er, »würden sie ohne Zweifel Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit es niemals gedruckt wird. Du musst dir eines klarmachen, Amos: Noch vor einem oder zwei Menschenleben hatten die Bücherjäger leichtes Spiel. Damals gab es noch keine Druckerpressen – um ein Manuskript zu vervielfältigen, musste man es mühselig abschreiben. Bis ein geübter Schreiber auch nur zehn Exemplare eines Buchs hergestellt hatte, war sein halbes Leben vorbei. Wenn die Inquisition damals also beschloss, dass ein Buch vernichtet werden sollte, weil es beispielsweise Anleitungen zur Beschwörunggewisser Dämonen enthielt – dann brauchten die Bücherjäger nur das Original und die Handvoll Abschriften ausfindig zu machen, die es von diesem Buch überhaupt gab. Ohnehin waren nur wenige Menschen des Schreibens und Lesens mächtig, und die meisten von ihnen lebten als Mönche in Klöstern, wo die Bücherjäger sie mühelos überwachen konnten. Heute dagegen …«
    In Kronus’ Gesicht kehrte das Lächeln zurück. »Du hast gerade mit eigenen Augen gesehen«, fuhr er fort, »wie es in einer Stadt wie Nürnberg zugeht. In den großen Städten wird sich künftig das Leben abspielen – und nicht mehr in Klöstern oder auch in Burgen wie der deines Onkels Heribert. Das alles gehört jetzt schon der Vergangenheit an. Heute kann jeder Handwerker, jeder Kaufmann seine Söhne in die Schule schicken, wo sie Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Und eine Druckerei wie die Kobergersche vermag innerhalb weniger Tage Hunderte Buchexemplare zu drucken. Wozu braucht man da noch Schreiber in Klöstern?«
    Er sah Amos so aufmerksam an, als ob er von ihm eine Antwort auf diese Frage erwartete. Aber Amos zuckte nur ratlos mit den Schultern. Bücherjäger, denen Blut an den Händen klebte, von Kaiser und Kirche ausgesandt? Er wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte – außer, dass Kronus verrückt oder der mutigste Mann auf der Welt sein musste. Oder beides zugleich.
    »Die Bücherjäger führen einen verzweifelten Kampf gegen die Zeit«, sprach Kronus unterdessen weiter, »und das wissen sie auch ganz genau: Noch gibt es von den meisten alten Schriftwerken, in denen die Weisheit der Jahrtausende enthalten ist, nur einige wenige Abschriften.« Wieder deutete er auf die mit uralten Büchern gefüllten Regale in seiner Schreibstube. »Von Bibliotheken wie dieser hier«, fuhr er fort, »findet man außerhalb der Klöster in ganz Europa allenfalls ein halbes Dutzend. Noch ist also für die Bücherjäger der Kampf nicht verloren: Sie müssen nur so schnell wie möglich diese wenigen Bibliotheken aufspüren und in ihre Gewalt bringen. Denn wenn all diese Handschriften erst einmal gedruckt und in Hunderten Exemplaren vervielfältigt wordensind, können auch der gewaltige Reichszensor und die allmächtige Inquisition die Uhr nicht mehr zurückdrehen.«
    Scheinbar gedankenverloren nahm er den vergoldeten Mistelzweig auf und drehte ihn in seinen Händen hin und her. »Stell dir einen Eimer voll Wasser vor, Amos«, fuhr er fort. »Solange nur ein paar Rostlöcher im Boden des Eimers sind, kannst du die hinausrinnenden Tropfen ohne größere Mühe wieder auffangen. Wenn aber der Boden erst einmal ausgeschlagen worden ist, dann – zack!«
    Bei »zack!« stieß er den Mistelzweig mit dem gezackten Ende in eine Augenhöhle des Totenkopfs und drehte ihn nach links. Ein dumpfes Knirschen ertönte und im selben Moment wurde Kronus vom Boden verschluckt. Der alte Mann hob die Arme senkrecht empor, hörte keineswegs auf zu lächeln und wirkte nicht im Mindesten bestürzt – obwohl er vor Amos’ Augen in der Erde verschwand.
10
    F
ür einen langen Augenblick
stand Amos einfach nur da und starrte dorthin, wo eben noch Kronus gewesen war. Lähmung hatte seine Gliedmaßen befallen und in seinem Kopf sauste es vor plötzlicher Leere. Erst als er aus der Tiefe die kräftige Stimme des Gelehrten heraufschallen hörte, wurde er langsam wieder munter.
    »Amos? Was treibst du denn da oben?«
    Vorsichtig ging Amos um das mysteriöse schwarze Möbel herum. Genau dort, wo Kronus immer hinter seinem Pult gestanden und gelesen oder geschrieben hatte, klaffte ein rundes Loch im Boden.
    »Wo bleibst du

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