Opus 01 - Das verbotene Buch
mitgebracht habe?« Er hängte sich den Geldbeutel wieder um, zog stattdessen den Umschlag unter seinem Wams hervor und wollte ihn Kronus reichen.
Doch der alte Mann zeigte wiederum wenig Interesse, sein Eigentum zurückzuerhalten. »Er ist sowieso schon halb offen«, sagte er. »Öffne ihn nur ganz und sieh nach, was in dem Brief steht.«
Unsicher wandte Amos das Kuvert in seinen Händen hin und her. Es sah zerknickt und zerfleddert aus, und auf der Rückseite war deutlich der Abdruck von dem schlammigen Daumen des Jungen zu erkennen, der ihm den Brief in Pegnitz entrissen hatte. An einer Ecke war das Kuvert aufgerissen und der eingelegte Brief schaute hervor.
Kronus reichte ihm den silbernen Fünfzack. »Ob dieses Pentagramm heute noch für Magie taugt, weiß ich nicht«, sagte er, »aber als Brieföffner funktioniert es ganz ausgezeichnet.«
Amos’ Finger schlossen sich um den Stern aus getriebenem Silber. Das Pentagramm war nicht viel größer als ein Gulden, aber unerwartet schwer. Mit einem seiner Zacken ritzte er den Umschlag an der Längsseite auf und schüttelte den Inhalt heraus – ein einziges Blatt, das in Kronus’ sorgsamer Schrift mit wenigen Zeilen beschrieben war.
Hebedank, sei bereit.
Zum vorbestimmten Datum rundet sich das Opus.
V.K.
»Verstehst du nun?«, fragte Kronus.
Amos starrte auf das Papier in seiner Hand. »Nein, Herr, kein Wort.« Er seufzte aus tiefstem Herzen. »Ich bitte Euch, erklärt es mir.«
»Aber ganz einfach«, rief der alte Gelehrte aus. »Der Mann, mit dem du bei Koberger gesprochen hast, heißt natürlich nicht in Wirklichkeit Hebedank. Er ist seit vielen Jahren mein Vertrauter, und wenn er von mir eine ›Nachricht für Hebedank‹ erhält, dann bedeutet das ganz einfach, dass alles nach Plan verläuft. Ich hätte ihm also genauso gut einen leeren Umschlag schicken können. Oder jemanden, der ihm einfach mitteilt, dass er ›eine Nachricht für Hebedank‹ hat. Da du ihm genau das mitgeteilt hast, Amos, ist meine Botschaft bei ihm angekommen und du hast alles richtig gemacht. Dafür danke ich dir von Herzen, mein junger Freund.«
Amos war immer noch ganz durcheinander. Er spürte, dass Kronus ihn erwartungsvoll ansah, aber es gelang ihm nicht, zu dem alten Mann aufzusehen. Mit gesenktem Kopf schaute er auf den Brief und das Pentagramm in seinen Händen. Er hatte das Gefühl, dass ihn Kronus an der Nase herumgeführt, für irgendetwas benutzt hatte, aber er verstand einfach nicht, was dahintersteckte. Außerdem wollte er von dem alten Mann nichts Schlechtes denken. Kronus war sein Stern in der Dunkelheit. Ohne ihn konnte und mochte er nicht leben.
»Pass auf, ich will dir noch etwas zeigen«, sagte Kronus. »Mir ist bewusst, dass dir manches, was ich von dir verlange, seltsam erscheinen muss. Aber glaube mir bitte, Amos, es ist nur zu deinem Besten, wenn ich dich nicht in alle Einzelheiten einweihe. Meine Widersacher sind mächtig und skrupellos.« Er deutete auf die Regale voller Bücher und Schriftrollen. »Jedes, wirklich jedes Mittel ist ihnen recht, wenn es sie nur auf ihrer Jagd voranbringt.« Er unterbrach sich und für einen Moment verdüsterte sich sein Gesicht wie von schmerzlichen Erinnerungen. »Ja, es sind Jäger«, fuhr er fort, »und an ihren Händen klebt Blut, sogar sehr viel Blut, auch wenn es sich bei der Beute, um die es ihnen letzten Endes geht,weder um Tiere noch um Menschen handelt. Sondern um Bücher.«
»Der Buchzensor?« Amos machte einen Schritt nach vorn, jetzt stand er dicht vor dem Pult, das die Form eines aufrecht stehenden, halbwegs aufgeschlagenen Buchs aufwies. »Schickt er diese Bücherjäger aus?« Er beugte sich über die schwarze, mit goldenen Schriftzeichen verzierte Vorderwand hinweg und legte Brief und Pentagramm vor Kronus auf die Pultfläche.
Der grauhaarige Gelehrte nickte. »Der Reichszensor und der Inquisitor. Beide sitzen in Nürnberg und beide arbeiten Hand in Hand. Der eine für den Kaiser, der andere für die Kirche. Beide befehligen mächtige Behörden mit Hunderten Bediensteten und Geheimbeamten. Mit einem Federstrich können sie Menschen in den Kerker oder in die Folterzelle, an den Galgen oder auf den Scheiterhaufen bringen. Und beide fürchten nichts auf der Welt so sehr wie Bücher, die die Macht von Kaiser und Kirche ins Wanken bringen können.«
»Solche wie Euer
Buch der Geister
, Herr?« Amos wagte kaum mehr, seine Stimme zu erheben. Scheu sah er um sich, so als ob die Bücherjäger schon draußen an
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