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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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und machte eine einladende Handbewegung. »Stell dich hierhin, Amos, und lies in aller Ruhe die Geschichte
Vom Ritter, der seine Liebste hinter dem Spiegel fand
. Aber lass dir vorher noch zwei Ratschläge mit auf den Weg geben.« Er unterbrach sich und schien nachzudenken, wie er seine Lektion am besten vorbringen konnte. »Mein erster Ratschlag ist eigentlich mehr als nur das«, sagte er. »Es ist eine strenge Lebensregel, wie sie die Weisen und Magier aller Zeiten an ihre Schüler weitergegeben haben. Eine Ordensregel, wenn du so willst – denn im Grunde gehört jeder, der
Das Buch der Geister
gelesen hat, damit auch einer magischen Bruderschaft an. Und diese Regel also lautet: In Herzensdingen lebe der Novize strikt enthaltsam.«
    Amos sah ihn verwundert an – so hatte er den alten Mann noch niemals reden hören. So feierlich und seltsam gewunden. Er verstand gar nicht gleich, was Kronus ihm überhaupt sagen wollte. Und dann plötzlich verstand er nur allzu gut und die Hitze stieg ihm in die Schläfen. »Aber ich …«, brachte er hervor, »ich habe doch gar keine …« Er verstummte und sah verlegen auf seine Füße hinab.
    »Du hast noch keine Allerliebste, wolltest du sagen? Das ist gut, Junge, das ist sogar sehr gut.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des alten Mannes. »Lasse als Erstes deine inneren Kräfte durch
Das Buch der Geister
erwecken – vor allem die Kräfte der Gefühls- und Gedankenmagie. Wenn du diese Stufen gemeistert hast und wahrhaftig bereit bist, zur dritten Stufe weiterzuschreiten – dann werdet ihr von selber wissen, wie ihr eure Herzensdinge weiter handhaben wollt.«
    »Ihr?«, wiederholte Amos verwirrt. »Wen meint Ihr damit, Herr?«
    »Na, dich und deine Allerliebste, die du zum rechten Zeitpunkt kennen und lieben lernen wirst – wen denn sonst?« Kronusschaute nun seinerseits so verwundert drein, als ob er Amos’ Begriffsstutzigkeit kaum fassen könnte. »Und jetzt zu meinem zweiten Ratschlag – er ist viel kürzer und sehr leicht zu befolgen.« Abermals deutete er einladend auf das Pult mit dem schmalen Papierstoß darauf. »Lies aufmerksam, mit wachem Geist und regem Herzen, dann wird die Geschichte ihre Wirkung nicht verfehlen. Und wenn du die allerersten Absätze gelesen hast, dann versuche einmal, dich aus ihrem Bann herauszureißen – du wirst erstaunt sein, das verspreche ich dir.« Nach diesen Worten gab Kronus sein Pult frei und wandte sich zur Stiegentür. »Ich lege mich währenddessen ein wenig hin«, sagte er abschließend, »die Plackerei der letzten Tage steckt mir doch ziemlich in den Knochen.«
    Amos dankte ihm stammelnd und wünschte ihm einen erholsamen Schlaf. Dann trat er hinter das schwarze Pult und begann zu lesen, und alles um ihn herum versank, da er selbst augenblicklich zu jenem jungen Ritter geworden war.
3
    Vom Ritter, der seine Liebste hinter dem Spiegel fand

    Die Nacht war lange schon hereingebrochen, doch Laurentius Answer stand noch immer vor dem kreisrunden Spiegel. »Edle Dame, schenkt mir Euer Herz«, flüsterte er und streckte sehnsuchtsvoll seine Arme nach der Liebsten aus. Zumindest schien es ihm im ungewissen Kerzenlicht, dass der Spiegel neben ihm selbst auch seine Geliebte zeigte. »Immer will ich Euch lieben, nie Euch bekümmern, Lucinda.« Laurentius beugte sich ihr entgegen, schloss die Augen und stülpte seine Lippen vor, um die Dame seines Herzens zu küssen. Doch statt der warmen, weichen Wange von Lucinda fühlte er an seinem Mund die kalte Härte von Metall. Er hob die Lider. Der Spiegel war von seinem Atem beschlagen, und als Laurentius ihn mit der Hand blank reiben wollte, da fuhr er mit dem ganzen Arm bis zur Schulter wie in einen Eimer voll Wasser hinein.
    Doch das konnte eigentlich nicht sein. Denn Laurentius Answer war vor Monatsfrist erst zum Ritter geschlagen worden, nachdem er seinem Herrn, dem Grafen Leonhard von Wallenfels, vier Jahre lang treu als Page gedient hatte. Und der Spiegel, vor dem Ritter Laurenz seither in jeder freien Stunde stand, war nichts anderes als der blanke Schild, den ihm Leonhard zusammen mit dem Erbschwert seiner Väter übergeben hatte: »Das Schwert aus Blitzen gehämmert, der Schild ein geschmiedeter Mond – erweist Euch ihrer würdig, Ritter Laurenz!«
    Diesen Rat hatte Laurentius auf seine Art beherzigt – indem er das Schwert unter sein Bett schob und den spiegelnden Schild an einem Nagel vor seiner Kammerwand aufhängte. Und nun verdampfte der Spiegel, in dem Laurenz mit dem

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