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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Gemahls und meiner Tochter Lucinda danke ich Euch von Herzen und heiße Euch willkommen.«
    Wieso zurückkehren, dachte Laurenz auf seinem tänzelnden Rappen, bin ich denn schon früher hier gewesen – in Lucindas Reich? Er versuchte, sich zu erinnern, aber die Mengehatte schon wieder zu musizieren und zu lärmen begonnen, und in diesem Durcheinander konnte man einfach keinen klaren Gedanken fassen. Mit den Augen suchte Laurenz die Frau, die sich als Lucindas Mutter vorgestellt hatte, und sie nickte ihm lächelnd zu. Ohne sich umzuwenden, deutete sie mit der linken Hand über ihre Schulter nach hinten. Da erst bemerkte Laurentius das prachtvolle Schloss, das sich inmitten bewaldeter Berge auf einem marmorweißen Felsplateau erhob. Es war aus den gleichen mondbleichen Steinen errichtet, und so sah es aus, als ob es nicht von Menschenhand erbaut, sondern von selbst aus dem Felsen hervorgewachsen wäre.
    Im Triumphzug wurde Laurenz zum Schloss geleitet. Die Narren sprangen umher, die Musikanten ließen die Schalmeien näseln, die Tänzerinnen machten schlängelnde Bewegungen, immer in Kreisen und Spiralen um Laurenz und seinen Rappen herum. Im Gehen arbeiteten die Maler eifrig weiter an ihren Gemälden, während die Pagen mit den aufgebuckelten Leinwänden vor ihnen herliefen. Auch die Dichter deklamierten unaufhörlich ihre Verse, doch zu verstehen war nach wie vor nichts. Lucindas Mutter führte den Rappen am Zügel, und Laurenz meinte schon, vor Ungeduld zerspringen zu müssen, denn bei diesem Tempo würden sie Lucindas Schloss wohl erst am späten Abend erreichen.
    Doch als er den Tänzerinnen einen Moment lang zugesehen hatte, wie sie die Arme flammengleich zum Himmel emporzüngeln ließen, und sein Blick abermals auf das Schloss fiel, da lag es schon zum Greifen nah vor ihnen, von der untergehenden Sonne zartrot beglänzt. Ihr kleiner Zug hatte alle Wälder und vorgelagerten Hügel bereits durcheilt und sogar den steilen Marmorfelsen erklommen – soeben bogen sie in eine Allee ein, die schnurgerade auf das Schlosstor zulief. Anstatt von Bäumen wurde die Allee von überlebensgroßen Skulpturen gesäumt. Sie waren gleichfalls aus weißemMarmor gemeißelt, und als Laurenz diese Figuren genauer ins Auge fasste, stellte er verwundert fest, dass sie allesamt nur ihn selbst und seine geliebte Lucinda zeigten.
    Mal stand die marmorne Lucinda zur Linken der Allee, der gemeißelte Laurenz zur Rechten, mal war es umgekehrt. In luftiger Höhe reckten und streckten sie einander ihre Arme entgegen, verflochten die Finger ineinander, wendeten und wölbten Köpfe und Oberkörper so weit wie irgend möglich einander zu. So zog man wie in einer richtigen Allee unter einem luftigen Dach dahin, das willkommenen Schatten spendete. Doch für Laurentius Answer war es sehr sonderbar, ein solches Gewölbe zu durchreiten, das aus lauter Doppelgängerpaaren von ihm selbst und seiner Lucinda bestand.
    Das Schlosstor stand bereits weit offen, aber zu sehen war niemand. Sie durchquerten zahlreiche Innenhöfe, einer prachtvoller als der andere. Das Gelärme der Menge schien immer lauter zu werden, wie toll sprangen die Narren umher und die Musikanten bliesen mit aller Kraft in ihre Hörner und Flöten. Die Tänzerinnen schleuderten die Beine, die Maler warfen wilde Kreidestriche auf die Leinwände und die Dichter sangen alle zur gleichen Zeit. Endlich erreichten sie einen Hof, der noch um ein Vielfaches prächtiger als alle vorherigen war. Eine blendend weiße Treppe wand sich mit kühnem Schwung an einem schlanken Turm empor, der seinerseits in sich gedreht war wie ein Muschelhorn.
    Lucindas Mutter hob abermals eine Hand und die Menge wurde mucksmäuschenstill. »Ihr seid am Ziel, Laurentius Answer«, rief sie, »eilt hinauf – oben werdet Ihr Lucinda finden.«
    Laurenz sprang vom Pferd. Lag es an dem langen und doch wie im Flug vergangenen Ritt, an dem bunten Durcheinander um ihn her oder woran auch sonst – er fühlte Schwindel im Kopf und ein Zittern in den Knien, als er die Treppe vor dem Muschelturm zu erklimmen begann. Abernur diese Stufen noch, dachte er, dann bin ich mit meiner Liebsten allein.
    Endlos wand und drehte sich die Treppe vor ihm empor. Und Laurenz hatte kaum das erste Dutzend Stufen bewältigt, als er hinter sich ein eifriges Scharren und Trappeln vernahm. Er wandte sich um und da kam die ganze Schar hinter ihm hergerannt und -gesprungen und -getrippelt – die Musikanten und die Tänzerinnen, die Dichter und die

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