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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Deutlichkeit spürte er, dass er nach Nürnberg reisen musste, so schnell wie möglich. Aber er wusste immer noch nicht, was er dort anfangen sollte, so wie er nichts von Hannes Mergelin wusste, der in diesem Augenblick in seiner stickigen Dachkammer auf dem Strohlager saß, mit dem verschnürten und versiegelten
Buch der Geister
zu seinen Füßen.

Kapitel III

1
    A
ls Hannes Mergelin am Montagmorgen
die Halle der Reichszensurbehörde betrat, hatte er die schrecklichste Nacht seines Lebens hinter sich. Wenn er auch nur im Entferntesten geahnt hätte, dass das vermaledeite Geisterbuch ihm den Schlaf rauben, ihn regelrecht behexen würde – er hätte es am Samstagabend ganz bestimmt nicht mit nach Hause genommen.
    So rasch es sein linker Fuß erlaubte, durchquerte er die Halle.
Das Buch der Geister
trug er in seinem Bündel auf dem Rücken und bei jedem Schritt sprang es empor und klatschte schwer zwischen seine Schulterblätter zurück. Viel schwerer, als ein so schmales Buch eigentlich sein dürfte. Außerdem konnte es anscheinend nach Belieben die Temperatur wechseln: Mal fühlte es sich so heiß wie ein Herdfeuer an, im nächsten Moment dagegen so frostig wie ein Klumpen Eis.
    Silberne, dann wieder giftig grüne Flammen waren in der Nacht aus dem Manuskript hervorgezüngelt, während Hannes in der dunklen Kammer auf seinem Strohlager gehockt hatte, die Knie bis unters Kinn gezogen und die Kiefer fest aufeinandergedrückt, um nicht zu schreien. Das teuflische Schriftstück lag dabei drei Fuß vor ihm auf dem Boden. Und was unter dem biegsamen Lederumschlag hervorgezischelt kam, sah nicht nur wie züngelnde Flammen aus, sondern klang überdies aufs Unheimlichste nach einem Chor flüsternder Stimmen.
    »… Geister, Hannes,
Buch der Geister
, lies schon, Geister, Hannes, lies …«
    Höllengemurmel, dachte Hannes Mergelin, während er sich Stufe für Stufe abstieß und die endlose Treppe emporschnellte. Es war keineswegs mehr so früh am Tag, wie er geglaubt hatte. Offenbar waren alle Beamten und Schreiber schon bei der Arbeit, und er kam als Letzter herbeigehinkt. Das war ihm niemals vorher passiert – er konnte nur hoffen, dass Jan Skythis durch irgendeine glückliche Fügung gleichfalls aufgehalten worden war.Denn der Herr Unterzensor wusste überhaupt nichts davon, dass sein bevorzugter Hilfsschreiber
Das Buch der Geister
vorgestern Abend in sein Bündel gestopft hatte.
    Im dritten Stock bog Hannes in den dunklen Flur zu Skythis’ Amtsstube ein. Immerhin war es schon mehr als einmal vorgekommen, dass er lose oder gebundene Handschriften aus der Zensurbehörde mit nach Hause genommen hatte. Mit diesem Gedanken versuchte er sich Mut zu machen, aber der Unterschied ließ sich trotzdem kaum übersehen: Sonst hatte Skythis ihm diese Schriftstücke immer ausdrücklich mitgegeben, damit Hannes sie am nächsten Morgen gleich zum Predigerplatz bringen konnte, wo die kirchliche Inquisition saß. Am Samstagabend aber hatte Hannes das Buch aus eigenem Entschluss in sein Bündel gesteckt, als Skythis ihm eben einmal den Rücken zugewendet hatte. Dabei hatte der Unterzensor ihm wenig vorher noch auseinandergesetzt, dass er sich dieses Machwerk gleich am Montagmorgen vornehmen wolle, nachdem er die Woche über dringendere Gutachten hatte erledigen müssen. »Schon wieder so ein teuflisches Fantasiegestammel«, hatte er geseufzt und einen angewiderten Blick auf das verschnürte und versiegelte
Buch der Geister
geworfen – »die Pestbeule einer kranken Seele, aber wir werden sie schon aufstechen.«
    Warum nur habe ich das Buch mitgenommen? Diese Frage hatte sich Hannes im Verlauf des Wochenendes immer wieder gestellt.
Das Buch der Geister
hatte ihn regelrecht angesprungen, zumindest kam es ihm im Nachhinein so vor. Auf irgendeine Weise hatte es ihm befohlen, es ungesehen an sich zu nehmen.
    Zu Hause hatte er das Bündel in die Truhe geworfen, damit es ihm aus dem Blick und damit auch aus dem Sinn käme. Aber schon in der Nacht auf den Sonntag hatte Hannes höchst unruhig geschlafen, wie wenn jemand Fremdes in seiner Kammer umherschlich. Und nachdem er in aller Frühe erwacht war, konnte er an überhaupt nichts anderes mehr denken. So als ob in seiner Truhe sprungbereit eine giftige Kröte lauerte.
    Anstatt seine Gesetzbücher zu studieren, war er am helllichten Tag hinaus auf die Gasse gerannt und ziellos umhergeirrt. Dann irgendwann zurück in seine Kammer und mit dem Mut der Verzweiflung die Truhe aufgemacht, das Bündel

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