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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Stadtwall.
    Während Hannes ihm noch mühselig hinterherkroch, redete der Unterzensor leise auf den Kutscher ein. »Vergiss nie den Schwur, Gregor«, verstand Hannes, »dein Herz soll den Wölfen zum Fraß vorgeworfen werden, wenn du dein Schweigen jemals brichst!«
    »Eher will ich verrecken als den Bund verraten, Herr«, antwortete der Kutscher. Es war ein nahezu glatzköpfiger Mann mittleren Alters, von derbem, unscheinbarem Aussehen, den Hannes bis dahin kaum beachtet hatte. Doch nun wurde ihm klar, dass es zwischen Skythis und diesem Kutscher Gregor eine geheime Verbindung geben musste. Die Worte, die beide eben gesprochen hatten, klangen feierlich und formelhaft – wie die rituelle Wechselrede, mit der sich Verschworene untereinander verständigten.
    Hannes grübelte noch darüber nach, als in der Turmtür ein Fenster aufging, nicht viel breiter und höher als ein aufgeschlagenes Buch. Dahinter erschien das mondbleiche Antlitz von Frater Meinolf, dem flachsblonden Gehilfen Cellaris. »Gott zum Gruß, Herr Unterzensor. Wenn Sie mir folgen würden – die hohen Herren sind bereits vollzählig versammelt.« Er machte das Fenster wieder zu, zog stattdessen eine Tür auf und ließ Jan Skythis ein. »Du wartest am besten draußen, mein Sohn.«
    Meinolf wollte eben die Tür vor Hannes’ Nase wieder schließen, da legte sich eine plumpe Hand auf seine Schulter. Ohne erkennbare Mühe stieß Skythis den viel jüngeren und kräftiger wirkenden Dominikaner zur Seite. »Komm herein, Johannes«, sagte er. Und dann zu Meinolf, der sich mit verzerrtem Gesicht die Schulter betastete: »Merk es dir, Mönchlein – meinem Schreiber befehle nur ich.«
    Mit tänzelnden Schritten geleitete Meinolf sie die schmale Wendeltreppe hinauf. Die Fensterluken gewährten, je höher sie stiegen, einen eindrucksvollen Blick mal über die Stadt, mal ins weite Land hinaus. Die Pegnitz glitzerte im blassen Morgenlicht, Weiler und Wälder wechselten sich bis zum Horizont ab. Doch gerade unterhalb des Turms schloss sich draußen an den Stadtwall eine zweite, weit weniger massive und hohe Mauer an, deren Zweck Hannes nicht zu erraten vermochte. Sie umfriedete ein schlammiges Halbrund von bescheidenen Ausmaßen, das wie von Schweinen durchwühlt und zertrampelt schien. Jedoch ließen sich dort unten weder Vieh noch Hüter blicken.
    Als Hannes schon glaubte, dass er sich keine einzige weitere Stufe mehr hinaufquälen könnte, hörte die Treppe unvermittelt auf und sie fanden sich in einer kreisrunden Stube wieder. Ein halbes Dutzend anscheinend hochgestellter Herren, allesamt in prachtvollen schwarzen Roben, saß am hinteren Ende eines rechteckigen Steintischs. Einer von ihnen war Leo Cellari.
    Als er Skythis bemerkte, sprang er auf und eilte auf ihn zu, wobei er dem Unterzensor bereits im Laufen beide Hände entgegenstreckte.»Ah, hochverehrter Freund, da seid Ihr ja«, rief er mit samtener Stimme, »man erwartet Euch schon sehnlichst.«
    Skythis blickte auf die ihm entgegengestreckten Hände, ergriff nur die Rechte des Kirchenmannes und schüttelte sie hölzern. »Nun denn, keine Zierreden«, brachte er hervor, »kommen wir zur Sache, Cellari.«
    Der so rau Zurechtgewiesene fasste nach seinem Kruzifix, als ob er himmlischen Beistand erflehen wollte. Geschmeidig drehte er sich nach hinten, bat die am Tisch verharrenden Herren mit einem raschen Blick um Nachsicht und wandte sich mit einem Lächeln wieder dem Unterzensor zu. »Ihr habt recht, wie nahezu immer, Skythis«, sagte er. »Wir dürfen keine Zeit verlieren – der Feind ist uns schon weit voraus.« Mit einer eleganten Armbewegung lud er Skythis ein, ihm zum hinteren Ende des Tischs zu folgen.
    Warum nur hatte Cellari diesen sonderbaren Versammlungsort ausgewählt? Verwundert sah sich Hannes nach allen Seiten um. Hilfreiche Hände hatten um den Tisch ein rundes Dutzend Sessel gruppiert, die mit verblichenem Goldbrokat bespannt waren. Von diesen Möbelstücken abgesehen, machte die Turmstube den Eindruck, als ob sie seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden wäre. Der Tisch schien uralt und war mit Moos und Vogeldreck überzogen. Wände und Boden waren mit Wasser- und Schimmelflecken übersät. Das alles war allerdings kein Wunder, denn die Balkendecke darüber war teilweise eingestürzt und zwischen gesplitterten Sparren schaute der Morgenhimmel herein.
    Hannes sank auf einen Sessel unweit der Treppe, fast ohne es zu bemerken. Alexius und Meinolf saßen wie er selbst am unteren Ende des

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