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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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durcheinander, aber Skythis ließ niemanden zu Wort kommen. Mit rauer Stimme, die seine innere Erschütterung verriet, berichtete er, was er während seiner zweitägigen Höllenfahrt erlebt und durchlitten hatte. Er war durch einen Spiegel getrieben, in einen Brunnen hinabgestoßen, durch massiven Fels gepresst, gegen die reißende Strömung über den Grund eines Stroms gezogen worden. Jedes Mal war er nahe daran gewesen, sein menschliches Bewusstsein zu verlieren, sich in tausend Tropfen zu verwandeln, die der Spiegel auf seiner Rückseite wieder ausschwitzte, oder in hundert Rinnsale, die durch das Bergmassiv flossen. Immer wieder war er kurz davor gewesen, nur noch Wasser, Staub und Stein zu sein, von Dunkelheit umhüllt, nichts mehr als Schmerzen und Trauer, ohne Bewusstsein, Hoffnung, Erinnerung. Aber er hatte, während ihm all das angetan wurde, unaufhörlich das Vaterunser gebetet und die heiligen Worte hatten ihn wie eine schimmernde Rüstung aus Himmelslicht umhüllt und das Verwüstungs- und Verwirrungswerk der Teufel letztlich zunichte gemacht.
    Wohl eine Stunde lang schilderte Skythis in nüchternen Worten, was ihm nach der Lektüre des
Buchs der Geister
widerfahren war. Er sollte zu Schlamm, zu Erdbrocken und Staubkrumen zermahlen werden und die Würmer, die Käfer und Asseln als seine Götter anbeten, und all das ging von dem dämonischen Schriftwerk aus.
    Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, legte sich beklommenes Schweigen über die Versammelten. Die hohen Herren tupften sich den Schweiß von den Stirnen, fächelten sich mit SeidentüchernLuft zu und tasteten ein ums andere Mal nach ihren mächtigen Kruzifixen.
    »Nicht ohne Grund, Monsignori«, sagte schließlich Cellari, »habe ich Euch gebeten, gerade an diesem Ort zusammenzukommen.« Er machte Alexius ein Zeichen und der junge Dominikaner stand bedächtig von seinem Platz auf. »Die Verschwörer des Opus Spiritus erproben seit vielen Jahren, mit welchen magischen Beimischungen sie ihre teuflischen Ziele am wirkungsvollsten erreichen können«, fuhr er fort. »Und einige Dutzend ihrer bisherigen Opfer – allesamt Leser dämonisch vergifteter Schriftwerke – findet Ihr hier.«
    Bei »hier« nickte er Alexius zu, der an eine der stadtauswärts weisenden Fensterluken getreten war. Daraufhin zog der bronzehäutige Gehilfe ein weißes Tuch aus seiner Kutte, streckte seinen Arm aus der Luke und schwenkte das Tuch hin und her. Im nächsten Moment ging tief unter ihnen rasselnd ein Tor auf und mit Geschrei und Geheule, mit Trillern und Brummen und Muhen und Krähen quollen unzählige Verdammte aus ihren Verliesen hervor.
    »Überzeugt Euch selbst, Monsignori«, sagte Cellari, »jede einzelne dieser armen Seelen, die dort unten auf dem Hof des Narrenkerkers umherirren, hat irgendwann im Verlauf der letzten zwanzig Jahre eine scheinbar harmlose Geschichte gelesen, die mit dämonischem Gift getränkt war. Daraufhin hat jeder Einzelne von ihnen seinen Verstand verloren. Und ich bin überzeugt davon, dass es allesamt Opfer des Teufelsordens Opus Spiritus sind, der mit Dosis und Zusammensetzung des magischen Giftes experimentiert hat, bis man die wirkungsvollste Mixtur gefunden hatte.«
    Als er dies sagte, hatten bereits alle fünf Monsignori ihre Köpfe durch die Fensterluken gesteckt und schauten auf den Hof des Narrenkerkers hinab. Auch Hannes war an eine der schmalen Mauerscharten getreten, und während er die Verdammten dort unten beobachtete, wurde ihm die Kehle eng und immer engervor Entsetzen und Angst. Ihm fiel ein, dass er erst kürzlich von dem närrischen Asyl hatte reden hören, das auf Beschluss der Ratsherren unter der Stadtmauer eingerichtet worden war.
    Zwanzig oder noch mehr dem Irrsinn Verfallene sprangen und krochen dort unten umher. In langen Lederschürzen und mit Holzknüppeln in den Händen standen ein halbes Dutzend Narrenwächter vor dem Tor im Sockel der Stadtmauer, das soeben geöffnet worden war. Dahinter führten glitschig feuchte Stufen in eine Unterwelt aus Zellen und Verliesen, aus der immer noch weitere Wahnsinnige hervorgetaumelt kamen. Einige der Narren krähten wie Hähne oder krächzten wie Raben und wedelten dabei mit den Armen, als ob es Flügel wären. Andere krochen auf dem Bauch durch Staub und Schlamm, da sie sich offenbar für Schlangen oder Würmer hielten. Wieder andere taumelten auf allen vieren umher, wobei sie wie Kühe muhten oder wie Schweine grunzten. Und ein noch ganz junger Mann, kaum ein, zwei Jahre

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