Opus 01 - Das verbotene Buch
den vielleicht niemand von ihnen gänzlich verstand.
8
O
hne anzuklopfen, trat Hannes Mergelin
in die Amtsstube des Unterzensors ein. Zu seinem Erstaunen stand Skythis bereits hinter seinem Pult, dabei war es noch nicht einmal sechs Uhr früh.
»Pack dein Bündel gar nicht erst aus, Johannes«, befahl er, »du kommst gleich wieder mit mir.« Wohin mitkommen und aus welchem Anlass – mit solchen Erklärungen hielt sich der Unterzensor nicht auf. »Die andere Seite bietet ein halbes Dutzend Köpfe auf«, fügte er bloß noch rätselhaft hinzu, »darunter mehrere großmächtige Häupter. Da will ich zumindest in symbolischer Begleitung erscheinen – wenn schon nicht mit jenen, die mir sonst zur Seite stehen.«
Was diese Worte bedeuten sollten, verstand Hannes noch sehr viel weniger. Aber er ahnte sofort, dass es um ein hochwichtiges Treffen ging, das in irgendeiner Weise mit dem
Buch der Geister
zu tun haben musste.
Sieben Tage waren vergangen, seit er Leo Cellari das dämonische Buch übergeben hatte. Und seither war Hannes mehrfach zwischen dem alten Abtshaus und der Amtsstube des Unterzensors hin und her geschickt worden, um Briefe an Cellari zu überbringen und eilends hingeworfene Antwortschreiben des Inquisitionsbeamten in Empfang zu nehmen.
Jan Skythis schien mittlerweile wieder gänzlich der Alte geworden zu sein. Genauso griesgrämig und grob, wie Hannes ihnseit Jahren kannte. Mit dem Unterschied allerdings, dass der Unterzensor sich ihm gegenüber nun recht häufig in wortreichen Rätselreden erging, was vor jenem Abend im Bücherkerker niemals vorgekommen war.
»Geh schon voraus, Johannes«, befahl er jetzt. »Warte auf mich hinter der Liebfrauenkirche.«
Hannes spürte, wie angespannt Skythis war. Aber der Unterzensor schien weder ängstlich noch auch nur besorgt, und so wurde auch er selbst ganz ruhig, während er die Treppen hinuntersprang und so rasch wie möglich die Halle hinter sich brachte. Glücklicherweise trat ihm kein Registraturbeamter in den Weg oder rief ihn zu sich, um ihm eine andere Aufgabe zuzuweisen. Aber würde er nicht trotzdem Ärger bekommen, wenn er sich einfach in dieser Weise davonstahl? Auf Skythis konnte er sich nicht berufen, das wurde Hannes klar, während er hinter der Kirche wartete, wie es der Unterzensor angeordnet hatte. Offenbar wollte Skythis vermeiden, dass sie überhaupt zusammen gesehen wurden.
Ein schwarzer Kutschwagen rumpelte, von zwei Pferden gezogen, die Gasse herauf. Hannes wich tiefer in den Schatten der gewaltigen Kathedrale zurück – bestimmt saß in dem Wagen ein höherer Zensurbeamter, der sich zum Dienst fahren ließ. Doch da bemerkte er die kurzfingrige Hand, die ihn durch ein Seitenfenster heranwinkte – Skythis.
Emsig hinkte Hannes auf den Kutschbock zu, um sich vorn neben den Kutscher zu schwingen. Aber die plumpe Hand, die scheinbar mehr zum Schaufeln und Wühlen als zum Blättern und Schreiben taugte, winkte ihn abermals herbei. »Mach schon, Johannes. Hier herein.«
Mit einem unbehaglichen Gefühl zog er die linke Seitentür auf, kletterte und kroch mühsam in den Wagen. Niemals vorher hatte er in einem solchen schaukelnden Sarg gesessen, und gar Schulter an Schulter mit Skythis, der nun mit der Faust vorn an die Holzwand schlug und »Weiter!« rief.
Augenblicklich verfielen die Pferde in Trab. Auf der schmalen Bank saßen Skythis und Hannes aneinandergepresst, wurden zusammen hin und her geworfen, wenn der Kutscher mit Schwung durch Schlaglöcher fuhr oder die Pferde durch steile Kurven trieb. Die Fenster waren mit schwarzem Sackleinen verhängt. Nur zuweilen wehte der Fahrtwind einen Stofffetzen empor und dann konnte Hannes einen Blick nach draußen erhaschen. Offenbar ging es in die Unterstadt hinab, am Ufer der Pegnitz entlang.
Währenddessen sprach Skythis kein einziges Wort. Er schien tief in Gedanken, und obwohl Hannes vor Ungeduld beinahe platzte, wagte er nicht, den Unterzensor nach Ziel und Zweck ihrer Fahrt zu fragen.
Leo Cellari würde bei dem Treffen anwesend sein, das spürte er ganz deutlich. Und der Inquisitionsbeamte würde
Das Buch der Geister
mitbringen, denn einzig um dieses dämonische Machwerk konnte es heute gehen.
Endlich hielten sie vor einem mit Eisen beschlagenen Tor. Mit einem Satz sprang Skythis aus dem Kasten heraus und trat vorn zum Kutscher an den Bock. Seit Minuten schon waren sie an der hoch aufragenden Stadtmauer entlanggefahren. Jetzt standen sie allem Anschein nach vor einem der Türme im
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