Opus 01 - Das verbotene Buch
Tischs, den mächtigen Herren nur um wenige Plätze näher. Und doch sahen Cellaris Gehilfen schon wieder so hochmütig zum Hilfsschreiber Mergelin herüber, als ob sie hoch über ihm am Himmel dahinsegelten. Hannes gab sich alle Mühe, sie zu ignorieren.
Die fünf großmächtigen Herren in den schwarzen Roben schauten unterdessen Skythis stumm entgegen. Jeder von ihnen schien noch weit bedeutender als Cellari zu sein – das schlossHannes jedenfalls aus ihren kostbaren Gewändern, die gelb und rot unterfüttert waren, aus ihren goldenen Kruzifixen, an denen Edelsteine so groß wie Ochsenaugen funkelten, und ihren teils spitzen, teils tellerförmigen Gold- und Purpurhüten.
Skythis verneigte sich in ihre Richtung und die fünf Herren nickten kaum merklich. Auf die Idee, ihre Namen zu nennen, kamen sie anscheinend nicht und auch Cellari machte keinerlei Anstalten, sie vorzustellen.
Nachdem der Unterzensor ihm gegenüber Platz genommen hatte, erhob sich der Inquisitionsbeamte und vergewisserte sich, dass aller Blicke auf ihn gerichtet waren. Dann griff er in sein Gewand und zog schwungvoll ein schmales Büchlein hervor. Es war in helles Leder gebunden, und nachdem Cellari das Schriftstück wie eine Fackel in die Höhe gereckt hatte, ließ er es auf den Tisch niederklatschen. »Hier ist es, Monsignori«, rief er aus, »das dämonische Machwerk, das wir dank unserem hochverehrten Freund, dem Unterzensor Jan Skythis, sicherstellen konnten.« Er deutete mit beiden Händen auf Skythis, wie um den Beifall aller Anwesenden auf ihn zu lenken. Aber der Unterzensor schien ihn überhaupt nicht zu beachten: Er schaute so starr auf das Buch, als ob er befürchtete, dass im nächsten Augenblick ein Dämon daraus hervorkriechen würde.
»Monsignori«, fuhr Cellari unterdessen in Richtung der hohen Hüte fort, »wir haben uns hier versammelt, um einen dringenden Beschluss zu fassen. Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten bin ich dem Geheimbund Opus Spiritus auf der Spur, und ich weiß sehr wohl, Monsignori, dass Ihr während dieser Jahre zuweilen in Eurem Glauben an mich wankend wurdet. Aber diese teuflische Loge war und ist kein Phantom, das stand für mich trotz aller Rückschläge stets unerschütterlich fest. Und hier, verehrte Monsignori, liegt der Beweis vor uns allen auf dem Tisch.« Er deutete auf
Das Buch der Geister
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»Die Bruderschaft Opus Spiritus stellt eine furchtbare Bedrohung für die gesamte Christenheit dar«, rief Cellari aus, währenddie hohen Herren auf das unscheinbare Büchlein herabblinzelten. »Ihre Mitglieder gehören Fürstenhäusern und Universitäten an, und einige von ihnen tragen wohl auch die Robe eines höherrangigen Kirchenvertreters. Dieser ruchlose Orden verfolgt nur ein einziges Ziel, Monsignori: den Satan leibhaftig zum Herrscher dieser Welt zu erheben. Deshalb haben sich die Logenbrüder verschworen, ein teuflisches Buch zu erschaffen, das Geist und Seele unheilbar verwirrt. Wer dieses Machwerk gelesen hat, erblickt fortan nur noch Fratzen und Wahngebilde anstelle der klaren Schönheit der göttlichen Schöpfung. Und dieses unscheinbare Bändchen hier, Monsignori, enthält nichts anderes als das frevelhafte Manuskript, das von jenem Geheimbund auf Geheiß des Teufels angefertigt worden ist.«
Er beugte sich vor, nahm
Das Buch der Geister
in die Hand und schwenkte es über den Köpfen der Monsignori. »Schon in früheren Zeiten«, fuhr er fort, »als außerhalb der Klöster kaum jemand die Kunst des Lesens beherrschte und Bücher nur mühsam von Hand kopiert werden konnten, hätte ein solches Teufelsbuch furchtbaren Schaden angerichtet. Heute aber lernen Jahr für Jahr Tausende einfacher Bürgersöhne zu lesen und zu schreiben, und die Druckerpressen machen es möglich, binnen weniger Wochen ebenso viele Tausende Buchexemplare herzustellen und an Lesekundige zu verteilen. Stellt Euch vor, die Pest bricht auf dem Markusplatz in Venedig im dichtesten Marktgedränge aus. Oder eine mit Wehrmauern umwallte Stadt wie Nürnberg wird von Belagerern an allen Ecken gleichzeitig angezündet, Monsignori – so furchtbar wird auch das teuflische Buch unter der Christenheit wüten, wenn es dem Opus Spiritus gelingt, dieses Blendwerk in Tausenden und Zehntausenden Exemplaren zu verbreiten. In einem Strudel von Gewalt, Lastern, satanischem Tohuwabohu würde das Abendland in kürzester Frist versinken. Und nur durch raschestes, umsichtiges und entschlossenes Handeln, Monsignori, können wir diesen Plan noch
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