Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
wandte sich um, sein Blick ging zu der Kammer, die für ihn mehr Gefängnis als Zuhause gewesen war. Auch die Tür war nun zu Trümmern zerschlagen und auf der Schwelle lag der junge Bastian. Um ihn herum die beiden anderen Pagen und die drei Männer, die schon gestern früh durch Armbrustpfeile verwundet worden waren – und auch sie allesamt so starr, wie nur Tote liegen können.
    Dunkel ahnte Amos, dass er wohl auch ihnen sein Leben verdankte – sie mussten aus der Kammer hervorgebrochen sein, ehe Meinolf entdecken konnte, dass sich unter dem toten Hauptmann noch jemand Lebendiges verbarg. So wie gestern sogar unter diesem massiven Steinboden gleichsam eine zweite Burg Hohenstein zum Vorschein gekommen war – mit einem anderen Wappen, das einer gänzlich anderen Welt und Wirklichkeit anzugehören schien.
    Nicht daran denken – nicht jetzt. Er beugte sich über Bastian und wollte auch ihm die starren Augen schließen. Aber dann brachte er es nicht über sich, die todeskalten Lider zu berühren. Wie Motten kamen sie ihm vor, wie Nachtfalter, die mit den Flügeln schlagen und grauen Staub verstreuen würden, wenn er mit dem Finger darüberfuhr. Er begann zu frösteln und zugleich pappte ihm das Gewand wie schweißnass am Leib. Doch als er an sich heruntersah, war es geronnenes Blut, das ihm Haut und Hemd zusammenklebte.
    Höttsches Blut. Jemand schrie auf. Amos fuhr zusammen und merkte dann erst, dass er selbst geschrien hatte. Einen langen Augenblick stand er nur reglos da. Lauschte dem Echo seines Schreisund hätte sich am liebsten einfach wieder hingelegt, zu den anderen Toten.
    Aber er war noch am Leben. Er durfte noch nicht für immer ruhen. Alle diese Männer waren für ihn gestorben, von Höttsche in den Tod gesandt, damit er, Amos, weiterleben konnte. Schon in der Nacht hatte er gespürt, dass der Hauptmann nur deshalb diesen Kampf angezettelt hatte, bei dem sie niemals hätten siegen können. Und spätestens als sich Höttsche auf ihn gewälzt, ihn unter sich verborgen hatte, da war er gänzlich sicher gewesen, dass dies alles nur wegen ihm geschah – damit er weiterlebte, er, Amos von Hohenstein allein.
    Nur – warum gerade er? Was sollte so Besonderes an ihm sein, dass mächtige Männer ihn schon als kleinen Knaben von seiner Familie fortzuführen versuchten? Dass sie Jahre später denselben Plan noch einmal angegangen waren – und diesmal mit mörderischer Gewalt? Amos schaute in Bastians Augen, die so starr wie Glasmurmeln zu ihm emporsahen, und wieder stieg jenes innere Schwindeln und Sausen in ihm auf. Und abermals ermahnte er sich: Nicht jetzt! Wie Ritter Laurentius Answer musste auch er seine Aufgaben in der richtigen Reihenfolge angehen, sonst würde alles nur noch ärger werden.
    Er sprang auf und lief aus dem Saal, ohne noch einmal nach links oder rechts zu schauen. Draußen lag der Burghof im hellen Schein der Vormittagssonne. Der Inquisitor, seine Soldaten und sein sonstiges Gefolge – sie alle waren verschwunden wie ein Spuk. Nur zur Rechten des weit geöffneten Burgtors stand noch der Sessel, auf dem Cellari gethront hatte, doch selbst den Purpurüberwurf hatten sie wieder mitgenommen.
    Amos wandte sich nach links. Je näher er dem Ostturm kam, desto dringlicher wollten seine Beine ihm den Dienst versagen. Aber er zwang sich, Schritt um Schritt weiterzugehen.
    Solange sein Herz nur ein starrer Eisenklumpen war, würde er auch diesen Abschied überstehen. So versuchte er, sich Mut zuzusprechen, während er die Treppe zu Odas Kammer emporlief.
    Sie lag auf dem Bett, als ob sie nur ein wenig ruhte. Auf die Seite gedreht, mit dem Rücken zur Tür. Er kauerte sich neben ihrem Lager nieder, legte ihr ganz sacht seine Hand auf den Arm. Und da drehte sie sich ihm zu, aber wie ein Stein, wie ein willenloser Klotz, der nur durch äußere Kräfte bewegt wird. Ihr Blick so leer, ihr liebes Gesicht so weiß und starr – niemals mehr würde sie ihn anlächeln, nie mehr ihn umarmen oder spielerisch in die Seite knuffen mit diesen Händen, die zu Fäusten geballt in ihrem Schoß lagen.
    Er drückte seinen Kopf in ihre Schulterbeuge, wie er es als kleiner Junge gemacht hatte – bei der Mutter und bei ihr. »Ich werde es herausfinden«, flüsterte er. »Ich schwör’s dir, Schwesterlein. Herausfinden, was das alles zu bedeuten hat. Warum sie unsere Eltern umgebracht haben. Und warum sie mir jetzt auch noch dich …«
    Amos konnte nicht weitersprechen. Sein Herz war nicht aus Eisen. Es war nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher