Opus 01 - Das verbotene Buch
Höllenhof in Flammen stehen.«
Hannes nickte. Ihm war schwindlig vor Erschöpfung. Aber derart müßig herumzustehen, bekam ihm auch nicht gut – sofort verspürte er wieder diesen sonderbaren Sog, der ihn aus dem Mühlhof hinausziehen wollte, über die Brücke, den Weg und die Weide ins Dickicht hinein. Dabei wollte er ganz gewiss nichts weniger, als noch einmal allein im Wald herumirren, sich bei jedem Knacksen im Unterholz erschrecken, verfolgt von glühenden Augenpaaren.
Gregor versetzte der Truhe einen Fußtritt und Hannes ließ sich bereitwillig aus seinen Gedanken reißen. Lieber bis zu vollkommener Erschöpfung Bücher schleppen, sagte er sich, als diesem unheimlichen Ziehen nachgeben. So verlockend es andererseits auch war.
Also trotteten sie weiter wie die Lastgäule hin und her. Doch schließlich war der Eisenwagen bis in den allerletzten Winkel mit dämonischen Büchern vollgestopft und Skythis trat aus dem Mühlhaus, noch grauer im Gesicht als sonst. Auf Gregors fragenden Blick hin schüttelte er nur den Kopf, und auch Hannes verstand sogleich, was das bedeuten sollte:
Das Buch der Geister
hatte der Unterzensor nicht gefunden – weder das Original noch auch nur eine weitere Abschrift. Dabei hatte er stundenlang das ganze Haus durchwühlt. Alle Stuben, Kammern, Gelasse, jeden Schrank, jedes Regal, jede Kiste hatte er Buch für Buch und Papierstapel für Papierstapel untersucht.
»Unsere Mission ist nicht beendet«, stieß er zu Hannes’ Schrecken hervor. »Denn unsere Jagd gilt dem
Buch der Geister
– und das haben wir hier nicht gefunden.«
Währenddessen wies Cellari bereits seine Purpurkrieger an, alle Pechfackeln anzuzünden, die sie mit sich führten.
Skythis sah bedeutungsvoll von Gregor zu Hannes. »Du bringst den Wagen nach Nürnberg«, sagte er zum Kutscher, »und schaffst alles dorthin, wo es hingehört. Die Bücher bringst du in meinen Kerker – erinnere mich daran, dass ich dir gleich noch den Verliesschlüssel gebe. Und den … das andere, du weißt schon«, verbesserte er sich, »bringst du zum Liebfrauenplatz – Cellari wird es kaum erwarten können. Außerdem …«
Er unterbrach sich und schaute stumm den Purpurkriegern zu. Geschwind liefen sie von einem Fenster zum nächsten und warfen brennende Fackeln hinein. Nur Augenblicke später brannte das Haupthaus lichterloh. Flammen schlugen aus den Fenstern im Erdgeschoss, wo Kronus eine der größten Geheimbibliotheken in der ganzen Christenheit zusammengetragen hatte. Das Feuer fraßalles, was Skythis ihm übrig gelassen hatte, gierig in sich hinein. Wenig später loderten die Flammen schon aus den Dachluken hervor und die ersten Schindeln zersprangen mit klirrendem Misston, als ob kaputte Glocken aneinandergeschlagen würden.
»Einen Brief an den Reichszensor habe ich bereits aufgesetzt«, fuhr Skythis fort, jetzt heiser anbellend gegen das Fauchen der Feuersbrunst. »Den gibst du beim Pförtner ab, Gregor – es ist das Gesuch, mich selbst und den Hilfsschreiber Mergelin auf unbestimmte Zeit von unseren Pflichten in der Zensurbehörde freizustellen.«
Hannes sah nur stumm von Skythis zu Gregor. Seine Augen hatten sich vor ungläubigem Erschrecken so weit geöffnet, dass er fürchtete, sie nie wieder zuzubekommen. »Aber, Herr …«, brachte er endlich heraus, doch so leise, dass niemand ihn hörte.
Das Feuer prasselte und fauchte. Glühende Papierfetzen stoben aus den Fensterhöhlen, wehten über den Hof. Die Luft war nun voller Funken, Ruß und Qualm. Die Augen begannen Hannes zu tränen, aber so groß war noch immer sein Entsetzen, dass er sie nicht einmal zu schmalen Schlitzen zusammenziehen konnte. »Wenn du alles erledigt hast«, schrie der Unterzensor gegen das Getöse des zusammenstürzenden Dachstuhls an, »sende mir auf dem bekannten Weg eine Nachricht.« Er klopfte Gregor auf die Schulter, fasste mit der anderen Hand Hannes beim Arm und zog ihn mit sich.
In der offenen Stalltür stand bereits Alexius und winkte sie dringlich herbei. Nahebei standen zwei Purpurkrieger, brennende Fackeln in beiden Händen. Sobald auch der Stall in Flammen stünde, wären sie vom Reitweg zur Straße und von den Wagen abgeschnitten.
»Aber, Herr …«, versuchte es Hannes aufs Neue und diesmal zeigte Skythis zumindest eine Reaktion.
»Ich habe es immer gewusst, Johannes«, stieß er hervor und zog ihn eilends weiter auf die Stalltür zu.
»Was gewusst, Herr?«
»Du hast dich über mein Verbot hinweggesetzt und heimlich in dem
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