OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
auch nur die kleinste Nachricht von Kronus erhalten.«
Klara beugte sich über ihn und gab ihm einen liebevollen Kuss. »Mir ist es mit Mutter Sophia ja genauso gegangen«, sagte sie. »Bis sie sich letzte Nacht plötzlich gemeldet hat. Aber ich bin mir sicher«, fügte sie hinzu, »dass beide uns schon viel eher eine Botschaft geschickt hätten – wenn sie nicht durch irgendetwas daran gehindert worden wären.«
Amos lächelte zu ihr hinauf. »Du hast bestimmt recht«, sagte er. »Aber vielleicht habe ich ja diesmal Glück?« Nach einem Kuss von Klara kam es ihm immer so vor, als ob es für ihn eigentlich gar keine unlösbaren Aufgaben gäbe. Allerdings hielt dieses Gefühl leider nie sehr lange vor.
Er schloss erneut die Augen und konzentrierte sich auf sein magisches Herz. Kronus, geliebter Herr, dachte er beschwörend – bitte gebt mir ein Zeichen, dass Ihr lebt und dass Ihr mich hört .
Zwei Lichtbänder gingen von dem rotgoldenen Punkt aus, der sein eigenes magisches Herz war. Das eine Band war dick und funkelte wie ein Sommersonnenstrahl und Amos hätte es unter Dutzenden anderen wiedererkannt: Es war der magische Strahl, der ihn mit Klara verband. Aber da war noch ein zweiter Lichtfaden, viel dünner und blasser. Das magische Band, das ihn frühermit Valentin Kronus verknüpft hatte, war mindestens so kräftig gewesen wie der Lichtschweif, der ihn jetzt mit Klara verknüpfte. Aber wenn der alte Gelehrte genauso wie Mutter Sophia in der Gewalt der Inquisitoren war, dann war er bestimmt geschwächt und möglicherweise sogar verwundet – vielleicht hatte er sogar schon damals Verletzungen erlitten, als die Purpurkrieger ihm das Haus über dem Kopf angezündet hatten.
Zu wem sonst sollte dieses Rinnsal aus Licht also gehören – wenn nicht zu Kronus? Allerdings hatte der weise Alte selbst ihn einmal davor gewarnt, sein magisches Herz leichtfertig zu öffnen. Amos erinnerte sich noch genau an seine Worte: »Jeder Lichtfluss verbindet dein Herz mit einem anderen Geschöpf. Öffne niemals dein Herz für irgendwen, dessen Absichten du nicht kennst.« Ein einziges Mal hatte Amos diese Warnung bisher missachtet – und da war ein grässlicher Lichtfresser über ihn hergefallen und hatte das Licht aus seinem Innersten gierig in sich hineingeschlürft. Den Schmerz und den Schreck über diesen Überfall würde er niemals vergessen. Aber dieser Lichtfresser war Johannes gewesen, der Gehilfe des Unterzensors Skythis. Und der zweite Lichtstrahl, den er heute in seinem Innern erblickte, hatte mit jenem krampfhaft zuckenden Faden, der ihn damals mit Johannes verbunden hatte, überhaupt keine Ähnlichkeit. Es war wiederum nur ein dünnes, blasses Rinnsal aus Licht, aber es floss ganz ruhig dahin, auf Amos’ magisches Herz zu.
Kronus? Mit aller Kraft und Sehnsucht konzentrierte sich Amos auf die Quelle des Rinnsals aus Licht. Seid Ihr das, mein geliebter Herr? Ich flehe Euch an – gebt mir ein Zeichen.
Anstelle der starken und vertrauten Stimme des alten Mannes bekam er etwas ganz und gar Unerwartetes zu hören: In seinem Innern ertönten auf einmal genau die gleichen Jaul- und Winsellaute, die eben noch da draußen auf der Lichtung erklungen waren.
Aber wie war das nur möglich? Verwundert lauschte Amos in sich hinein. Das dünne, blasse Lichtrinnsal zitterte jetzt zum Erbarmen – nicht krampfhaft, nicht zwischen Begierde und Angsthin und her gerissen wie damals, als Johannes ihn auf diesem magischen Weg angegriffen hatte. Sehr viel eher war es ein Zittern aus Schwäche, aus Hilfsbedürftigkeit. Und doch war der Quell des Rinnsals damals wie heute ein und derselbe, auch das spürte Amos nun ganz genau.
Johannes?
Die Antwort war ein neuerliches Winseln und Heulen. Alles, was der andere Junge fühlte, empfand Amos mit einem Mal so stark und deutlich mit, als ob es seine eigenen Gefühle wären. Seine eigene Angst, seine eigenen Schmerzen, sein eigenes Betteln um Hilfe und Mitgefühl. So als ob er selbst da draußen unter einem Busch hocken und immerzu nur bitten und flehen würde, dass sie beide hier drinnen ihm verziehen und ihre Tür und ihre Herzen für ihn öffneten.
»Es ist Johannes«, sagte er zu Klara.
Sie sah ihn verständnislos an. »Wer – ich meine, wo – ?« Ihre Augen wurden weit vor Schreck und jähem Begreifen. »Du meinst, dieses Geheule da draußen …«
»Er ist schon hier drin«, sagte Amos. Er deutete auf seinen Kopf und dann, nach kurzem Zögern, auf sein Herz. »Bisher hat er ja wohl
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