OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
Mut, sich auf einen Pakt mit ihrem unheimlichen Verfolger einzulassen, waren Amos jedenfalls fürs Erste wieder vergangen.
Er hob seine Hände und schlug sie gegen das Türblatt, dass es nur so krachte und klirrte. Die Füchsin begann aufs Neue zu schnauben, und Amos sagte so laut, dass es auch da draußen zu hören sein musste: »Verschwinde – oder du kriegst eine Gewehrkugel ab!«
Die Kreatur heulte angstvoll auf und Amos warf Klara einen Blick zu: Offenbar handelte es sich bei ihrem Verfolger weder um einen Geist noch um ein Tier. Oder höchstens um einen Dämon, der sich vor Kugeln fürchtete, oder um ein Tier, das die menschliche Sprache verstand. Das eine war so unwahrscheinlich wie das andere – aber wer oder was war dann sonst hinter ihnen her?
Einige Augenblicke lang lauschten sie noch, doch die Kreatur da draußen gab nicht mehr den leisesten Winsellaut von sich. Klara überprüfte noch einmal den Türriegel, dann kehrten sie in den Wohnraum zurück und Amos streckte sich auf dem Bärenfell aus. Wahrscheinlich diente es dem Jäger auch als Nachtlager, auf dem er sich, vielleicht noch in eine Decke gewickelt, zum Schlafen niederlegte.
Durch unzählige Ritzen und Astlöcher in den Hüttenwänden und im Fensterladen schien noch die helle Nachmittagssonne, aber Amos fühlte sich mindestens so erschöpft wie damals, als er mit dem
Buch der Geister
den halben Tag lang durch den Wald gerannt war, die Bücherjäger im Nacken. Und dabei war er heute nur ein paar Stunden mit dem Karren umhergefahren worden und anschließend auf dem Rücken der Füchsin den Waldhang emporgeschaukelt. Aber die bleischweren Ketten raubten ihmnicht nur alle Kraft, sondern mehr noch Mut und Zuversicht. Wenn Klara und er selbst es nicht einmal schafften, ihn von seinen Eisenfesseln zu befreien – wie sollte es ihnen dann jemals gelingen, ihre Verfolger abzuschütteln, den Inquisitor Cellari, den Unterzensor Skythis und dessen gepanzerte Bücherjäger?
Klara kauerte sich neben Amos auf das Bärenfell. »Ich hatte noch gar keine Zeit«, sagte sie, »dir richtig zu erzählen, was ich letzte Nacht alles erfahren habe.« Sie schob eine schmale, kühle Hand zwischen seine zusammengeketteten Hände. »Mutter Sophia klang schwach und ängstlich«, sagte sie. »Sie schien in Sorge zu sein, dass sie gestört werden könnte, bevor sie mir alles mitgeteilt hatte – oder dass ihr die Kräfte vorher ausgehen würden. Sie machte immer wieder kleine Pausen, so als ob sie sich erholen müsste – und dann redete sie umso hastiger weiter.« Klara unterbrach sich und ihr Gesichtsausdruck wurde für einen kurzen Augenblick düster. »Mutter Sophia kam mir so niedergeschlagen vor«, fuhr sie fort, »beinahe, als ob sie ein schlechtes Gewissen hätte – vielleicht bereut sie ja mittlerweile, dass sie bei diesem Opus Spiritus mitgemacht hat.«
Amos schloss die Augen und dachte über ihre Worte nach. »Ist Mutter Sophia noch im Inquisitionskerker in Nürnberg?«, fragte er.
Ohne die Lider zu heben, sah er ganz deutlich vor sich, wie Klara mit den Schultern zuckte. »Es ging alles so schnell«, sagte sie. »Mutter Sophia hat es nicht erwähnt und ich habe sie auch nicht gefragt. Aber da war noch etwas anderes, Amos.« Der Druck ihrer Hand wurde fester. »Vielleicht bedeutet es ja auch gar nichts, oder vielleicht wollte Mutter Sophia mir nur klarmachen, dass sich ihre Botschaft an uns beide richtet.«
Sie verstummte und Amos wartete, dass sie von sich aus weiterredete. Es war schön, so neben Klara zu liegen, ihre Hand in seinen Händen zu halten und nicht einmal das leiseste Klirren zu hören – jedenfalls, solange er vollkommen reglos dalag.
Doch damit war es im nächsten Moment vorbei.
»Ganz zum Schluss«, fuhr Klara nämlich fort, »hat Mutter Sophia noch gesagt, dass sie ihre Botschaft auch im Namen von Kronus übermittelt.«
Amos zuckte heftig zusammen und seine Ketten schepperten. »Auch im Namen von Kronus?« Er wiederholte es beinahe schreiend, sodass diesmal Klara zusammenfuhr. »Was soll das denn bitte sehr heißen, Klara – etwa dass Kronus lebt? Aber warum hat er dann in all der Zeit …« Seine Stimme versagte ihm ihren Dienst – er musste sich erst einmal die Kehle freiräuspern. »Warum hat er mich allein gelassen?«, fuhr Amos fort. »Du glaubst gar nicht, wie oft ich versucht habe, mit ihm auf dem Gedanken- oder Gefühlsweg Kontakt aufzunehmen. Aber seit damals – seit sie sein Haus angezündet haben – habe ich nie mehr
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