OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
klang wie nichts, was er jemals vorher vernommen hatte.
»Ein Geist«, flüsterte Klara, »vielleicht vom Zauberer Faust erschaffen, damit er immer weiß, wo
Das Buch der Geister
gerade ist?« Sie sah mit großen Augen von Amos zu dem Gebüsch einige Dutzend Schritte linker Hand, aus dem gerade in diesem Moment wieder ein gräuliches Heulen erklang.
Es war ein gewaltiger Hollerbusch, groß genug, um einer ganzen Gespensterschar Unterschlupf zu bieten – aber Amos glaubte nicht einen Augenblick lang, dass in diesem Gestrüpp ein Geist lauern könnte. »Ein Dämon, von Faust erschaffen?« Er sprach absichtlich laut und in wegwerfendem Tonfall, um Klara aus ihrer ängstlichen Erstarrung aufzuwecken. »Ich habe ja selbst erlebt,dass der Herr Faust so einiges durcheinanderrütteln kann. Aber einen dienstbaren Geist aussenden, um dich und
Das Buch
zu überwachen – das kann bestimmt nicht mal er.«
Scheppernd wie ein Ritter in voller Rüstung erhob sich Amos von dem Felsbrocken und machte Anstalten, zu dem Hollerbusch hinüberzustapfen. Nicht, Amos, bitte geh nicht dorthin!, flehte Klara mit einem solchen Entsetzen in ihrer Gedankenstimme, dass er gleich wieder stehen blieb. Ich weiß etwas viel Besseres , fuhr sie fort, du musst nur auf diesen Steinbrocken klettern, dann kannst du dich quer über den Rücken der Füchsin legen. Keine Angst, sie wird dich so sachte den Berg hinaufschaukeln, als ob du zerbrechlich wärest wie böhmisches Glas.
Im Hollerbusch wurde neuerlich gewinselt, aber auch ohne diesen Dämon im Nacken wäre Amos nur zu gern bereit gewesen, sich von der Stute weiterschleppen zu lassen. Mit Klaras Hilfe gelang es ihm, auf den Steinbrocken zu klettern, und nachdem sie die Füchsin nah genug an den Fels herangeführt hatte, ließ sich Amos wie ein halb geöffnetes Klappmesser quer über den Pferderücken sinken. Die Füchsin schnaubte, aber Klara summte ihr beruhigende Laute ins Ohr und gleich darauf setzte sich das Pferd gemächlich in Bewegung.
Was hast du zu ihr gesagt? Anfangs hatte er sie das immer nur im Scherz gefragt, aber mittlerweile wusste Amos, dass Klara wirklich mit der Füchsin reden konnte.
Dass sie mit zu uns ins Haus darf, wenn sie dich den ganzen Berg hinaufträgt .
»Mit ins Haus?« Vor Erstaunen verfiel Amos in gewöhnliches Sprechen. »Gibt es da keinen Schuppen oder so etwas?«
So, wie er bäuchlings über dem Pferderücken hing, Füße und Kopf in Höhe der Steigbügel, konnte Amos nicht sehen, was Klara für ein Gesicht machte. Aber er hörte an ihrem Tonfall, dass sie noch immer voller Angst war. »Wir dürfen einander nicht eine Sekunde lang aus den Augen lassen«, sagte sie, »solange dieser Geist … diese Kreatur … hinter uns her ist.«
Wie zur Bekräftigung ihrer Worte begann es unter ihnen aufs Neue, im Dickicht zu jaulen – nicht mehr vom Hollerbusch her, den sie mittlerweile weit hinter sich gelassen hatten, sondern höchstens ein halbes Dutzend Schritte zurück.
Klara summte und murmelte in das zuckende Ohr der Füchsin und die Stute setzte sich in behutsamen Trab. Krampfhaft hielt sich Amos an dem Steigbügel fest, so gut das mit seinen gefesselten Händen gehen mochte. Klirrend und scheppernd schwankten sie den Hang hinauf, begleitet vom Geheule ihres Verfolgers, der beharrlich mit ihnen Schritt hielt und doch unsichtbar blieb.
4
D
ie Säge war gut eine Elle lang
und so schwer, dass Klara sie kaum aus der Truhe herauswuchten konnte. Sie hatte einen hölzernen Handgriff an jeder Seite und ein rostiges Sägeblatt mit furchterregend gezackten Zähnen.
Die Jagdhütte bestand lediglich aus einer engen Diele und einem einzigen Zimmerchen, das auch nicht besonders geräumig war. Aber der Jäger hatte es sich recht behaglich eingerichtet – mit einem Bärenfell vor dem Kamin und einem kleinen Holztisch am Fenster, das auf die Waldlichtung hinausging. In der winzigen Vorratskammer neben dem Küchenherd gab es Dörrfleisch und altbackenes Brot, einen Käselaib, in dem allerdings die Maden wimmelten, und sogar einen Sack Hafer für die Füchsin – notfalls hätten sie in diesem Versteck ein paar Wochen ausharren können. Nur einen Schlüssel für die verflixten Kettenschlösser oder zumindest einen stabilen Draht, der sich zu einem Dietrich zurechtbiegen ließe, konnten sie nirgendwo auftreiben.
Amos ließ sich auf das Bärenfell fallen. Klara schleppte die Säge herbei und kauerte sich neben ihn. Aus der Nähe sahen die Eisenzähne noch viel grässlicher aus.
Weitere Kostenlose Bücher