OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
zugetraut. Zweifellos zählt er zu den faszinierendsten und widersprüchlichsten Gestalten seiner Epoche: ein einflussreicher Kirchenmann und besessener Büchersammler, der eine der kostbarsten Bibliotheken des 15. Jahrhunderts zusammentrug und auch mit eigener Hand zahlreiche Bücher verfasste – darunter ein magisches Werk namens Chronologia mystica (»Mystische Zeitenfolge«), in dem mächtige Geister eine geradezu kosmische Rolle spielen.
Durch seine Belesenheit und seine einzigartige Sammlung seltener Schriftwerke erwarb sich Trithemius einen überragenden Ruf bei den Schriftgelehrten seiner Zeit. Die Mönche in Sponheim hatten jedoch die Hauptlast seiner Bibliomanie zu tragen: Trithemius gab jeden Heller, den das Kloster einnahm, für kostspieligeManuskripte und für die Bewirtung gelehrter Bibliotheksbesucher aus – bis seine Mitbrüder schließlich gegen ihn rebellierten. Sie legten Feuer in der Bibliothek und zwangen ihn, das Kloster zu verlassen.
Aus dramaturgischen Gründen habe ich im Roman eine Vielzahl historisch verbürgter Geschehnisse im symbolträchtigen Jahr 1499 gebündelt, obwohl etliche davon in Wahrheit einige Jahre vorher oder nachher stattgefunden haben. Tatsächlich wurde die einzigartige Büchersammlung des Trithemius zumindest teilweise ein Raub der Flammen, allerdings erst im Jahr 1505. Die Beteiligung der Inquisition an dieser schändlichen Aktion ist nicht verbürgt; jedoch dürfte unstrittig sein, dass die päpstlichen Glaubenswächter das Treiben des Sponheimer »Bücherpapstes« argwöhnisch beobachteten: Neben hoch angesehenen Verzeichnissen geistlicher Schriftsteller (die er allerdings um frei erfundene Personen, Werke und Zitate anreicherte) verfasste Johannes Trithemius auch etliche Werke »schwarzmagischen« Inhalts.
Wo genau die Grenze zwischen weißer – »göttlicher« – und schwarzer – »teuflischer« – Magie verlief, war wohl auch für schrift- und zauberkundige Gelehrte jener Zeit nicht immer leicht zu entscheiden. Trithemius beteuerte beharrlich, dass er zwar ein »Philomagus« sei, ein Freund der Magie, worunter aber selbstverständlich nur die weiße Magie zu verstehen sei –Heilzauber etwa oder auch Telepathie. Allerdings beschäftigte er sich auch mit solchen magischen Praktiken, die seine Kirchenoberen unmissverständlich als teuflische Schwarzkunst und Hexerei anprangerten – Zukunftsschau beispielsweise oder Geisterbeschwörung.
Diese verbotenen Spielarten der Magie behandle er nur aus wissenschaftlichen Gründen, versicherte Trithemius, und um moralisch ungefestigte Menschen vor Irrwegen zu warnen, die unweigerlich in die Hölle führten. Tatsächlich aber verstand er sich wohl auch als Mitglied eines magischen Geheimbundes, deraus einer erlesenen Schar von »Eingeweihten« bestand – und dessen Mitglieder sich keineswegs mit kirchentreuem Heilzauber begnügten.
Im Jahr 1495 empfing der Abt von Sponheim nach eigenem Bekunden einen höchst geheimnisvollen Besucher: einen Magier namens Libanius Gallus, den er späterhin mehrfach als »ter magus« rühmte – »dreifach groß«. Diese Formel kennzeichnet besagten Gallus als Erleuchteten im Sinn der magischen Hermetik, einer okkult-religiösen Geheimlehre, deren Name sich von ihrer mythischen Gründergestalt herleitet – Hermes Trismegistos, dem »dreifach größten Hermes«.
In hermetischer Tradition werden okkulte Offenbarungen seit der Spätantike immer nur von einem Meister an seinen auserwählten Schüler weitergegeben und so über die Jahrhunderte und Jahrtausende vor dem Vergessen bewahrt, aber zugleich vor den Augen und Ohren der »unwürdigen« restlichen Menschheit verborgen. Laut Trithemius war Libanius Gallus der Schüler eines spanischen Eremiten namens Pelagius gewesen und hatte dessen Wissen und okkulte Schriftwerke geerbt. Von diesem »dreifach großen« Meister wurde der Abt nach eigenem Bekunden seinerseits in die hermetischen Mysterien eingeweiht – und mit der erwähnten Chronologia mystica gibt er eine verblüffende Kostprobe seiner magischen »Erleuchtung«.
Die Chronologia mystica erscheint im Jahr 1508, und darin behauptet Trithemius, dass unsere Welt von sieben »Planetengeistern« regiert werde. Gott selbst habe diese Geister zu Anbeginn der Zeiten eingesetzt, damit sie nacheinander in Perioden von jeweils 354 Jahren und vier Monaten über die Erde und die Menschheit wachten und deren Geschicke durch ihre Weisheit und ihr Temperament lenkten. Laut Trithemius kann man
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