OPUS - Die Bücherjäger - Gößling, A: OPUS - Die Bücherjäger
schlaftrunken.
»Draußen wird es schon langsam grau«, berichtigte er. »Aber für einen Kuss müsste unsere Zeit noch reichen.«
Erst eine geraume Weile später kam er dazu, ihr seine Eingebung von vorhin zu erklären. Wir müssen der wilden Horde hinterher , begann er, vorsichtshalber auf dem Gedankenweg.
Hast du das in einer Vision gesehen? Klara klang wenig überzeugt. Dass wir mit diesen Leuten durch die Wälder ziehen?
Nein, das nicht . Amos fühlte sich ziemlich erhitzt von ihrem Kuss, und er war dankbar, dass es in der Hütte des Jägers immer noch einigermaßen dunkel war. Aber durch die Ritzen in Wänden und Fensterläden schimmerten schon die ersten Sonnenstrahlen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich auf den Weg machten.
Was sonst hat dich auf diese Idee gebracht, mein Auserwählter?
Er rang mit sich, ob er ihr überhaupt von seiner nebelhaften Vision erzählen sollte. Wenn Klara wider Erwarten erkennen würde, welches Bauwerk er da erblickt hatte – dann bliebe ihnen kaum etwas anderes übrig, als geradewegs dort hinzugehen. Aber er spürte doch ganz genau, dass es ein unheimlicher, höchst gefährlicher Ort war, von dem sie sich lieber fernhalten sollten.
Schließlich gab er sich einen Ruck und berichtete ihr, was er in der Nacht gesehen hatte. Klara hörte sich alles an, eng an ihn geschmiegt. Längst schon hatten sie ihre Pferdedecken von sich geschüttelt, und das machte es für Amos nicht gerade leichter, sich auf ihr Gedankengespräch zu konzentrieren. Klara lag fast mehr auf als neben ihm, und ihre Körper fingen an, sich wie unerzogene junge Pferde zu benehmen, die auf eigene Faust umhertrabten.
Wo das sein soll, weiß ich auch nicht , murmelte Klara an seinem Ohr. Aber stattdessen diesen wilden Leuten folgen? Ich weiß nicht recht …
Er versuchte, ihr zu erklären, wie er auf die Idee gekommen war. Klara hatte ein Bein angewinkelt und über seine Mitte gelegt.Im Reden langte er beiläufig hin und zog seine Hand so hastig wieder zurück, als ob er in eine Flamme gegriffen hätte.
Was der Wahrheit sogar ziemlich nahe kam. Ihr Gewand war der Himmel weiß wie weit hochgerutscht und er hatte ihr Bein zu fassen gekriegt, ziemlich weit oben. Er stotterte einige Augenblicke lang herum, bis er wieder einigermaßen in der Spur war.
Also, diese Leute aus dem Wald … Ihm schien es, als ob es nicht nur Mitglieder der Bruderschaft, sondern Vertraute von Kronus und Mutter Sophia wären. Zweimal schon hatten sie diese wilde Horde ausgesandt – beim ersten Mal, um Amos’ Zuverlässigkeit zu prüfen, und gestern, um ihn durch den vorgetäuschten Überfall aus den Händen der Soldaten zu befreien. Sie waren als Räuber nur zurechtgemacht , sagte Amos, da bin ich mir sicher . Damals bei Pegnitz sind sie mehr wie eine Sekte oder so etwas aufgetreten, mit einem hageren Prediger an ihrer Spitze, der irgendwas vom nahen Weltuntergang geschrien hat. Und ich glaube, dass das der Wahrheit schon sehr viel näher gekommen ist.
Er überlegte, wie er es Klara noch besser erklären könnte. Weißt du noch, fuhr er fort, was Hans Wolf uns in der Herberge damals von der Geistkirche erzählt hat? Zumindest von einem aus der Bruderschaft – dem jungen Musiker, der sich Paul Lautensack nannte – wissen wir durch Hans, dass er dieser Geistkirche angehört. Aber wahrscheinlich ist die Verbindung zum Opus Spiritus viel enger – auf Deutsch heißt Opus Spiritus ja einfach Geistwerk. Und diese Geistkirche ist ja, wie Hans es erklärt hat, eine Religion ohne Priester und ohne Gotteshaus. Sie veranstalten ihre Zeremonien unter freiem Himmel und die Gläubigen kommen dabei direkt mit Gott in Verbindung – oder sogar mit irgendwelchen Geistern, die ihnen da erscheinen, denn laut Hans Wolf ist die Geistkirche ja für manche ihrer Jünger eine Geisterkirche, in der sie verschiedenerlei Geister anbeten.
Klara stützte ihren Kopf seitlich in die angewinkelte Hand. Mittlerweile war es so dämmrig, dass Amos ihre Augen funkeln sah und um die helle Fläche ihres Gesichts herum ihr goldenschimmerndes Haar. Wahrscheinlich hast du recht und hinter dieser Horde steckt etwas anderes, als sie uns und alle Welt glauben machen wollen. Ihre Gedankenstimme klang noch immer nicht recht überzeugt. Vielleicht gehören sie ja wirklich zu dem Teil der Bruderschaft, der mit uns und dem
Buch der Geister
nichts Böses vorhat . Aber wenn sie gewollt hätten, dass wir uns ihnen anschließen – warum sind sie dann gestern Hals über Kopf
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