Oracoli (German Edition)
anzulegen, da sie genug Erfahrung hatte, kleine Vorlagen, maßstabgetreu in große umzusetzen. Das ging bei ihr sehr schnell. Danach fixierte sie die Zeichnung mit Haarspray. Das Atelier roch wie ein Frisörsalon, doch das war ihr jetzt egal, denn endlich konnte sie malen. Cora mischte einen Trocknungsbeschleuniger in die blaue Ölfarbe, ein wenig weiß und Terpentin kamen hinzu. Nun legte sie den Hintergrund an und versuchte durch Hinzufügen von Farben den Himmel Monets nachzuahmen. Durch das Verdünnen mit Terpentin schien die Vorzeichnung noch leicht durch. Und wieder gab es eine Zwangspause. Cora goss sich aus der Thermoskanne einen Kaffee ein, setzte sich vor den Fernseher und sah sich eine Wiederholung von Bilderbuch Deutschland im Ersten an. ›Nach der Sendung müsste die Farbe einigermaßen getrocknet sein‹, hoffte sie.
Die Sendung war zu Ende und Cora hatte einiges über Trier erfahren. Sie schaltete den Fernseher aus und begab sich direkt zur Staffelei. Cora entschied, mit dem Sonnenschirm anzufangen. Sie drückte reichlich Farbe aus drei verschiedenen Tuben auf eine kleine Glasscheibe, und mischte sie mit einem Malmesser zusammen. Mit skeptischem Blick hielt Cora die Scheibe gegen das Nordfenster. Übermalen kann ich es immer noch, dachte sie und setzte den Pinsel mit olivgrüner Farbe an. Äußerst konzentriert zog Cora den ersten Strich, als die Stimme ihrer Tochter durch die geschlossene Tür drang: »HALLO MUTTI, BIST DU IM ATELIER?« Cora malte vor Schreck einen zu langen Strich. »JA, VERDAMMT!«
Frauke betrat das Atelier und schaute sich das angefangene Bild an. Sie war mit ihren 22 Jahren so attraktiv wie ihre Mutter. »Das Blau ist wunderschön, Mama, wird das ein Manet?«, sagte sie, während Cora mit Terpentin den Strich entfernte. »Fast richtig, Frauke, es wird ein Monet. Aber deshalb besuchst Du mich doch nicht hier oben, oder?«
»Nein, ich wollte fragen, ob ich morgen Dein Auto haben darf, mein Wagen ist in der Werkstatt. Ich muss nach Frankfurt, um Vorbereitungen für die Messe zu treffen.« Frauke machte eine Pause und fuhr dann mit euphorischer Stimme fort: »Wir stellen unseren neuen Reifen, den Good Wheel Caramba, vor.«
»Du kannst ihn bis morgen Nacht haben, dann brauch ich ihn selber«, sagte Cora und dachte dabei nur an ihr Bild. Plötzlich wurde ihr warm. Was habe ich gerade gesagt? ›Mist‹, fluchte sie innerlich. ›Wofür, Wird sie fragen.‹
»Was ist denn so aufregend an dem Reifen?«, setzte sie schnell nach. Coras Befürchtungen waren unbegründet, Frauke war wie berauscht. »Unsere Chemiker haben eine neue Mischung zusammengemixt, der Reifen wird so alt wie ein durchschnittlicher PKW. Good Wheel übernimmt für 10 Jahre oder eine Million Kilometer die Garantie.« Frauke betrachtete das Gesicht ihrer Mutter, aber Cora konzentrierte sich nun wieder auf ihr neues Bild. Cora ahnte, dass Frauke noch eine Überraschung im Ärmel hatte, dafür kannte sie ihre Tochter zu gut. »Und weißt Du was der Hammer ist?« Jetzt musste Cora lachen, sie schaute ihre Tochter fragend an. »Nein, was denn, mein Kind?«
Fraukes Augen funkelten voller Triumph. »Ich mache die Präsentation!« Cora legte den Pinsel weg und nahm lachend ihre Tochter in die Arme. Frauke sah nicht die Tränen in den Augen ihrer Mutter. »Das ist ja fantastisch«, sagte Cora und hielt sich noch eine Weile wiegend an ihrer Tochter fest.
Cora saß bei Ludwig wie auf heißen Kohlen. Es war Null Uhr und ihre Tochter war noch nicht zurück.
Ludwig lief hin und her. »Cora, wie konnten Sie nur! Wenn Ihre Tochter den Kofferraum geöffnet hat, wird sie ...«
»Entschuldigen Sie Ludwig«, sagte Cora kleinlaut. »Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Allerdings, das war höchst unprofessionell von Ihnen.« Ein Wagen fuhr in die Einfahrt. Cora schaute hinaus. »Da ist sie endlich.« Cora wollte gerade hinausgehen, doch Ludwig fasste ihren Arm und hielt sie zurück. »Warten Sie«, sagte Ludwig. »Wir trinken noch einen Tee und warten bis Ihre Tochter eingeschlafen ist.«
Es war noch sehr warm, als Cora den Parkplatz eines Dortmunders Supermarktes ansteuerte. Keiner der beiden sagte ein Wort. Sie stiegen aus, gingen zum Kofferraum und zogen sich die schwarzen Overalls über. In der Ferne blitzte es. Das Gewitter kam näher, als sie die Fahrt wieder aufnahmen. »Sehr schön, das Gewitter«, sagte Ludwig, als sie die Firma erreichten. Die beiden gingen wieder zum
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