Orangenmond
Boden stellte.
»Viel habt ihr ja nicht gekauft! Wo wart ihr denn die ganze Zeit? Und was macht Georg?«
Helga begann, die Spülmaschine auszuräumen. »Mir hat er nicht gesagt, wo er hingeht.«
»Oma und ich wollten auf dem Platz noch was trinken«, sagte Emil, »Papa hat auf der Rückfahrt mit niemandem gesprochen, mit mir auch nicht.«
»Und was ist jetzt mit dem Fisch?«
Helga zuckte mit den Schultern, ging hinaus über den Hof und verschwand in ihrem Trullo.
Eva spielte unter der Pergola eine Runde Uno mit Emil, dann mixte sie eine große Kanne Zitronenlimonade, schön sauer, goss zwei Gläser ein und begann aus dem quadrati schen grünen Flyer eines Discoclubs, der in der Supermarkt tüte gesteckt hatte, einen Flugsaurier zu falten.
Emil trank die Limonade, grabschte ab und zu in die Schale mit den Erdnüssen, die Eva auf den Tisch gestellt hatte, und sah bei der Entstehung des Sauriers zu. Eva faltete die Kante der vorderen Papierlage an der Talfaltlinie und drehte das Gebilde dann um – noch war nichts zu erkennen. Sie fragte Emil nicht aus, wenn er erzählen wollte, würde er es irgendwann tun.
»Komm, wir lassen ihn über den Trichter fliegen«, sagte sie, als sie fertig war.
»Nein!« Emil hielt den grün gescheckten Flugsaurier andächtig an seinen Schwingen hoch. »Der ist viel zu schön, nachher fällt er noch rein!« Er seufzte. »Papa hat mir gerade gesagt, er wäre auf mich überhaupt nicht böse«, sagte er, das Kinn auf den Tisch gestützt.
»Aha!«
Er schaute sie mit seinen großen grünen Augen von unten an. »Da war so eine Frau. Eine Frau, die Brigitte heißt.«
»Und was wollte die von deinem Papa? Oder wollte sie was von Helga?«
»Ich weiß nicht, sie sagte, sie hätte Papa schon die Windeln gewechselt, das fand ich echt komisch! Und Oma war ziemlich sauer auf sie. Sie hat immer wieder gefragt, warum bist du hier, Brigitte, was soll das? Warum bist du hier, Brigitte, was soll das? Warum bist du …«
»Okay! Und was hat Brigitte geantwortet?«
»Na, weil ich ihn mal wiedersehen wollte! Und Oma sagte, na, das hast du ja jetzt. Und dann hat Papa mich zu dem Loch auf dem Platz geschickt, wo unten die alten Stadtmauern drin sind. Obwohl ich mir das gestern Abend schon angeschaut habe.« Er lächelte. »Das ist so ein Erwachsenentrick, wenn Kinder nicht zuhören sollen.«
Als Georg eine ganze Zeit später immer noch nicht wieder aufgetaucht war, machte Eva Tortellini für Emil, raspelte ein bisschen Pecorinodarüber und erlaubte ihm, mit der Schüssel auf dem Bett zu sitzen und Monster-AG zu schauen, das sie auf ihr Tablet geladen hatte.
»Ausnahmsweise, Emil, aber du hast ja wirklich lange nichts gesehen.« Emil freute sich.
»Und nimm deine großen Kopfhörer, damit bist du richtig drin im Film!« Auch so ein Erwachsenentrick. Eva zog die Tür hinter sich zu.
Helga saß draußen auf ihrer Liege und starrte vor sich hin. Sie schien plötzlich gealtert, ihre Schultern waren nach vorn gebeugt. Wie besiegt sitzt sie da, dachte Eva.
Sie hockte sich vor sie hin. »Brigitte. Das ist doch die Frau von deinem Verleger, die dich in Rom schon so genervt hat, oder? Was war da los, womit hat sie dich da gerade auf der Piazza kleingekriegt?«
Helga schaute müde auf. »Stimmt«, sagte sie. »Sie hat mich kleingekriegt. So fühlt es sich an.«
Eva wartete. Das konnte sie gut.
»Sie glaubt, ich hätte seine Psyche damals als Kind schwer geschädigt, aber mit dieser Aktion, jetzt nach all den Jahren, hat sie sie erst recht geschädigt, so viel ist sicher.«
»Und was meint sie genau?«
Helga machte ein seltsam kehliges Geräusch und legte ihr Gesicht in die Hände, dann schaute sie wieder auf. »Das wird er dir jetzt vielleicht erzählen, da ist er ja!«
Georg kam mit großen Schritten zwischen den Olivenbäumen hindurch auf sie zu. Wie war er auf das Grundstück gelangt? War er hinten durch das zugewachsene Tor gekommen? Erst sah es aus, als ob er an ihnen vorbeigehen wollte, dann hielt er aber doch an. Nach einer kleinen Ewigkeit setzte er sich auf die zweite Liege.
»Wo ist Emil?«
»Auf eurem Bett, sieht sich einen Film an. Mit Kopf hörern.«
»Weiß sie es?« Er sah Helga an und zeigte mit dem Kinn auf Eva.
»Nein, aber sie würde es gerne wissen«, sagte Eva.
Georg schnaubte und schüttelte den Kopf, dann räusperte er sich. »Ich habe heute von Brigitte erfahren, dass mich meine Mutter, meine Mutter, fast ein Jahr lang bei ihr gelassen hat! Von März 1975 bis Februar
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