Orangenmond
Kiefernrinde, Lorbeerblättern und Rosmarin. Eva spür te, wie gut die zunehmende Wärme der Sonne ihren Schultern tat. Emil sprang ins Wasser und kletterte sofort auf den aufblasbaren pinkfarbenen Sessel, der dort bis vor ein paar Sekunden ruhig herumgedümpelt hatte.
»Guck mal, Papa, guck mal, was ich kann!« Georg guckte, und Emil führte vor, was er mit dem überdimensionalen Sessel alles anstellen konnte.
Als Eva aus der hölzernen Umkleidekabine trat, lag Helga schon mit geschlossenen Augen auf einer der gepolsterten Liegen. Sie trug einen farblich auf den Sessel abgestimmten Bikini und ein zufriedenes Grienen im Gesicht.
Ganz schön mutig, liebe Helga, ging Eva durch den Kopf, natürlich sieht man deinem Körper an, dass du nicht mehr achtunddreißig bist – so wie ich.
Eva zupfte an ihrem Schwimmanzug herum, sie besaß gar keinen Bikini. Aber auch wenn sie einen besessen hätte, dann wohl kaum in diesem Helga-Pink! Die Frau war frei von jeglicher Altersscham, und dann diese hochhackigen Pseudo-Badeschühchen, die vor der Liege standen! Aber wie sie da so lag – geradezu beneidenswert entspannt und irgendwie verführerisch. Sexy. Oder hot , wie es in den amerikanischen Filmen hieß. Hotter jedenfalls als du selbst, meine Liebe, sagte sie sich, oder warum fühlst du dich hier mit deiner stromlinienförmigen Ganzkörperbedeckung aus der Wettkampfabteilung plötzlich so fehl am Platz? Meine Güte, sie war doch wohl nicht neidisch? Helga blieb auch im sexy Bikini eine Nervensäge. Warum Milena eigentlich immer so gut mit ihr ausgekommen war? Unbegreiflich.
Eva sah an sich herab und begutachtete ihre Beine. Sie schwamm, sie lief, sie spielte Volleyball. Sie dachte kaum darüber nach, warum. Montag war das Training der Ersten Damen, Donnerstag ging sie schwimmen, am Samstagmorgen laufen. Die festen Termine gaben ihrer Woche noch mehr Struktur. Sie seufzte leise. Ihre Oberschenkel waren trotz aller Trainingseinheiten einfach nur … verdammt breit.
Langsam ließ sie sich ins Wasser gleiten, schwamm ein paar Bahnen und streckte sich dann auf einer Liege aus. Herrlich! Sie spürte, wie das Wasser von ihrer Haut perlte, spürte die Weichheit des Polsters, hörte die fröhlichen Schreie von Emil und Georg, atmete tief und ruhig in sich hinein, darauf bedacht, an nichts zu denken.
Doch ihr Gehirn gab keine Ruhe. Es ratterte, sortierte, sorgte sich. Es plante die nächsten Minuten, sprang Stunden vor, wertete die Vergangenheit aus und machte Vorschläge für die nächsten Tage. Eva scheuchte die Gedanken mit aller Anstrengung davon, um sich einige Sekunden später schon wieder dabei zu ertappen: Immerzu plante sie! Wenn sie ihren Koffer packte, dachte sie schon daran, wie es wäre, alles wieder auszupacken, zu waschen und schön gebügelt in den Schrank zu hängen. Wenn sie Schuhe kaufte, überlegte sie, wie viele Monate später man sie zum Besohlen würde bringen müssen. Sie hasste sich selbst dafür, konnte die dumme Angewohnheit aber einfach nicht ablegen. Wie würde der Tag weitergehen, wann sollten sie losfahren, wäre es unverschämt, sich ein paar Stunden hinzulegen? Wie würde es sein, Jannis wiederzusehen? Ob er ihr noch böse war? Wie würde Georg sein Anliegen vortragen?
»Eva?!« Sie öffnete die Augen und blinzelte zu Georg hoch. »Jeder macht, wozu er Lust hat, und wir treffen uns heute Abend in meinem und Emils Zimmer, so gegen halb acht. Ist dir das recht?«
»Okay!« Na also, war doch gar nicht nötig, dauernd für andere mitzudenken.
Gegen Mittag bezogen sie ihre Zimmer. Auch im Inneren des Palazzo Astolfi ging es weiter mit den angenehmen Überraschungen, die Zimmer waren gemütlich, die Möbel antik, die Badezimmer hypermodern. Keine Teppichböden, keine Vertreter, keine Klitsche. Und das alles nur zehn Minuten von Forlì entfernt.
Eva schlüpfte zwischen die frischen Laken und schlief tief und traumlos. Als sie aufwachte, war es sechs. Sie blieb noch eine Stunde im Bett, zappte herrlich träge ein wenig zwischen den italienischen Sendern und einem krisseligen RTL hin und her und begann sich dann anzuziehen und für den Abend zurechtzumachen.
Als sie in Georgs und Emils Zimmer eintraf, war Helga schon da. »Na, schön geräumig haben die es hier, ich habe nicht so ein Sofa …«
»Das Hotel ist super, Eva!«, sagte Georg und gab ihr ein unvermutetes Küsschen auf die Wange, woraufhin ihr ein kleines »Wow!« entschlüpfte.
»Das Hotel ist übelst super, Eva!«, bestätigte Emil. O
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