Orangenmond
Nacht bleiben. Emil wollte einen großen Swimmingpool und »so ein Telefon, an dem man sich was bestellen kann«. Georg gab sich pflegeleicht: »Alles, bloß keine Klitsche.« Dennoch sollte es nahe an Forlì und Annas Haus liegen.
Eva checkte sämtliche Bewertungen auf einem Reiseportal, wog Preis und Angebot ab, buchte schließlich Zimmer im Palazzo Astolfi und nahm sich vor, gelassen zu bleiben, falls sich jemand beschweren sollte.
Sie passierten unzählige gelblich beleuchtete Tunnel und waren irgendwann von mächtigen Bergen umgeben, deren zuckerweiße Schneespitzen man selbst in der Dunkelheit noch vage erkennen konnte. Emil und Helga schliefen. Eva versuchte vergeblich, eine bequeme Position für ihren Kopf zu finden. Wie würde sie es vor Gericht ausdrücken? »Nach meiner Einschätzung liegt die Chance, mit einem eindeutigen, die Putativväter betreffenden Ergebnis nach Deutschland zurückzukehren, bei unter zwanzig Prozent.«
Und ihre Chancen, nach dieser Reise mehr über ihre Beziehung zu Georg zu wissen? Komm, Eva – sie formte ihren Paschminaschal zu einer Kugel und schob sie zwischen Schulter und Kopf. Vergiss mal die Gutachten-Sprache und vertraue mehr deinem Gefühl. Du liebst ihn, du willst mit ihm zusammen sein! Entweder du bist es nach den kommenden dreizehn Tagen oder nicht. Ein Mittelweg ist in diesem Fall ausgeschlossen!
Als der höchste Punkt des Brennerpasses, die blauen Italia-Schilder und weitere Tunnel hinter ihnen lagen, hielt Georg an einer Raststätte. »Wir müssen tanken!«, murmelte er, nachdem er Evas Blick im Rückspiegel begegnet war. »Warum schläfst du nicht?«
»Ich gehe einen Espresso trinken«, sagte sie, ohne auf seine Frage einzugehen, und stieg steifbeinig aus.
»Ach, ich komme mit! Der erste Espresso auf italienischem Boden ist immer der beste.« Zusammen gingen sie auf den hässlichen Steinbau zu, in dem die Raststätte untergebracht war. »Una sosta di piacere!«, las Georg von einem großen Segafredo-Plakat. »Was soll das denn heißen?«
Una sosta? Ein Aufenthalt, eine Pause? »Eine Rast des Vergnügens«, übersetzte Eva holperig, sie lachten, doch Georgs Miene wurde schnell wieder ernst. Er drückte kurz ihre Schulter. »Ist jetzt alles etwas anders gelaufen, als ich dachte. Wir kriegen das trotzdem hin, oder?« Er hielt ihr die Tür auf.
Eva überlegte. Sie hatte sich auf Andrés Ratschläge eingelassen, sie würde Georg bei seiner Mission unterstützen und dabei herausfinden, ob sie zueinanderpassten. Das bedeutete auch, Georgs hirnrissigen Plan nicht mehr infrage zu stellen, nicht zu drängeln, nicht zu quengeln. Männern musst du ihren Freiraum lassen, aber streng bei ihren Fehlern sein. Sag ihnen, was sie falsch gemacht haben, und sei konsequent, sonst tanzen sie dir auf der Nase herum, waren Andrés Worte gewesen. Mit Männern kannte er sich aus.
Statt einer Antwort nickte Eva nur und sog sehnsüchtig den Kaffeegeruch ein, der ihnen entgegenschlug. An der Kasse holten sie sich noch jeweils ein panino mit Mozzarella und prosciutto , bevor sie dem barista ihren Bon gaben. Der knallte die beiden Untertassen für den Espresso mit Schwung auf den Tresen und setzte dann, wesentlich sanfter, als ob er etwas wahrhaft Kostbares transportierte, die halb vollen Tässchen darauf ab.
»Ahh, die crema stimmt schon mal«, sagte Georg.
»Angeber!« Eva grinste, nach dem ersten Schluck wieder besser gelaunt. Er hatte ja recht, der Schaum war dicht und goldbraun. Einfach perfekt!
»Für mich auch einen!«, ertönte Helgas Stimme dicht neben ihnen.
»Helga! Sag nicht, du hast Emil alleine im Auto gelassen!«
»Ach, der schläft doch tief und fest!«
Georg kippte seinen Espresso in einem Schluck herunter und stürmte hinaus.
»Mmhh, das riecht gut, und die Tässchen sind so hübsch, ob ich eins mitnehmen soll?« Helga strich über den Schriftzug der leeren Tasse. »Ich denke, eher nicht«, sagte Eva.
»Früher gab es diese kleine Holzbude, direkt hinter der Grenze, die hatte Charme! Das war immer ein Erlebnis, aussteigen, die Luft einatmen, endlich in Italien! Und dann sagte man: Un caffè, per favore! « Ihr Zeigefinger hob sich dabei halb in die Höhe. »Mehr Italienisch kann ich nicht«, kicherte sie zu Eva hinüber, aus deren Handtasche in diesem Moment ein Geräusch kam.
»Heute sendet TMT Italia eine Willkommens-SMS, da weiß man es auch ohne Bretterbude«, sagte Eva nach einem Blick auf ihr Handy.
»Aber ihr Jungs von Segafredo macht den caffè immer
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