Orangenmond
Wunder – ein an sie gerichtetes Lob aus Emils Mund.
»… und mein Bad ist kleiner!«, kam es aus dem Badezimmer.
Eva warf den Kopf zurück und lachte so laut, dass Helga erstaunt aus der Badezimmertür schaute. »Man wird ja noch vergleichen dürfen, ich habe nämlich vor, ein Buch über Hotels in Italien zu schreiben, ich habe da so einen Verleger kennengelernt …«
»So!«, unterbrach Georg sie. »Wer kommt mit zum Essen? Wer bleibt hier?« Niemand meldete sich.
»Ist das hier ’ne Klassenfahrt?«, murrte Helga.
»Nein.« Georg warf seinen Autoschlüssel in die Luft und fing ihn geschickt mit einer Hand wieder auf. »Wir wollen vorher nur noch Freunde besuchen, und da dachte ich …«
»Na, ihr habt ja anscheinend überall Freunde!«
»Ja, Mutter, manche Leute haben tatsächlich Freunde!«
»Nett! Ich schau mir doch immer gerne an, wie andere Menschen leben.« Helga lachte übertrieben laut und zeigte dabei ihr prächtiges Gebiss, das sehr teuer gewesen war. »Zahnlachen« nannte Eva Helgas künstlich amüsiertes Mundaufreißen.
»Ich weiß nicht … Es ist eine Freundin von uns, sie ist schwanger, und es geht ihr nicht so gut.«
»Und da störe ich? Wollt ihr mich mit Emil irgendwo aussetzen? Ich meine natürlich absetzen? Ha, wenn das mal kein Freud’scher Versprecher war! Soll ich mit ihm irgendwo spazieren gehen? Wir könnten auf der Piazza einen Aperitif trinken. Eine Piazza wird es ja wohl geben, oder?«
»Auf keinen Fall«, sagte Georg. »Wir schauen alle zusammen kurz dort vorbei, und dann gehen wir essen.«
»Wir können auch hier essen, die Kellner fangen gerade an, draußen die Tische einzudecken, auf dem Rasen neben dem Pool, extreeem galant und schick, die Jungs! Und die Deko, weiße Rosen und rosa Hortensien, absolut fantastico! «
»Heute essen wir fantastico in der Stadt«, sagte Georg, »Anna kann uns bestimmt ein Restaurant empfehlen.«
»Gib mal bitte Via Carlo Forlanini 82 ein!«
Forlì war keine große Stadt, aber sie strahlte etwas Sattes, Wohlhabendes aus. Die Häuser waren größtenteils zweistöckig und in Terrakotta-, Orange- und Gelbtönen gestrichen.
»Das da vorne ist die Rocca di Ravaldino«, sagte Eva, als sie auf eine mächtige Festung zusteuerten. »Früher war dort mal ein Gefängnis drin. Und ganz früher, vor über fünfhundert Jahren, hat Caterina Sforza, Herzogin von Imola und Forlì, sich darin verschanzt. Und weißt du, wer Caterina Sforza auch noch war?«, fragte sie Emil, der ausnahmsweise kopfhörerfreie Ohren hatte.
»Nein!«
»Sie soll angeblich die Frau sein, die Leonardo da Vinci für seine Mona Lisa Modell gestanden hat.«
»Ach die? Die habe ich mit Papa im Louvre gesehen. Das Bild war viel kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich mag sie! Die war da drin? Cool.«
Die Via Carlo Forlanini zog sich endlos dahin, die Häuser wurden spärlicher, die Kiefern am Straßenrand höher, die Gärten und Gewächshäuser größer. Es schien fast, als würden sie wieder aus Forlì hinausgeleitet, dann endlich hielt Georg vor einem dunkelgrauen Haus an. An den oberen Fenstern hingen einige Rollläden schief herab, die unteren waren vergittert. Mit ein paar Eimern Farbe könnte man hier einiges erreichen, dachte Eva.
»Also, ich erkläre noch mal, wie das jetzt hier vor sich geht«, sagte Georg mit einem warnenden Ton in der Stimme. »Wir gehen da jetzt kurz rein, sagen Guten Tag, essen nichts, trinken nichts und setzen uns auch nicht lange hin. Anna ist hochschwanger und nicht in Stimmung für lange Besuche.«
Eva hätte fast gelacht. Für Emil und sie war diese Ermahnung bestimmt nicht gedacht.
»Ist doch selbstverständlich«, sagte Helga. »Was hat sie denn?«
»Keine Ahnung. Sie hat mich zwar beschworen, euch alle mitzubringen, um mal wieder Deutsch zu hören, aber es geht ihr nicht gut.«
Georg sprang aus dem Wagen. Eva folgte ihm, sie war nervös. Warum eigentlich, nur weil sie gleich Jannis wiedersehen würde, mit dem sie auf der Hochzeit geflirtet hatte? Na ja, geknutscht hatten sie später auch. Ziemlich heftig sogar. Sie hatte die Nacht mit ihm genossen und war später doch so gemein zu ihm gewesen. Eva schaute durch die Scheibe. Emil kramte zwischen seinen CDs herum, auch Helga war sitzen geblieben.
Ob Jannis’ Haare wohl noch so honigblond waren und so wild abstanden wie damals?
»Ich bin total aufgeregt«, sagte Georg kaum hörbar zu ihr. Sie gingen zwei Schritte beiseite. »Von Jannis und Anna hängt es ab, ob wir etwas
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