Orangenmond
die Requisite zu viel Stress. Man bekommt wenig Lob, wenn alles gut läuft, aber viel Ärger, wenn mal was schiefgeht. Ich habe nachts wach gelegen und mir Sorgen über all die unvorhersehbaren Dinge gemacht, die am nächsten Morgen passieren könnten. Danke, aber die schlaflosen Nächte mit Emil haben mir tausendmal besser gefallen.« Er lächelte, ganz in Gedanken, bis ihm etwas einfiel, das seinen Mund schmal machte. Emil, dachte Eva. Logisch. Seinetwegen sind wir hier.
Helga kam zu ihnen zurückmarschiert. »… ich schränke mich ja schließlich auch ein, mein ganzes Leben schon! Was? Ach hör mir auf mit unserer Mutter! Hauptsache, du zelebrierst dein Wohlergehen, Kurti!«, keifte sie ins Telefon. »Deine emotionale Blockade, was dieses Anwesen betrifft? Na, dann löse dich und deinen blockierten Hintern doch einfach davon und zieh aus, zieh um, zieh in eine Residenz! Niemand zwingt dich, das Andenken an unseren Vater hoch zuhalten! Werde endlich glücklich!« Sie nahm das Handy vom Ohr und hielt es, als würde sie es im nächsten Moment wegschleudern.
»Puuh«, stöhnte Georg, »es geht mal wieder um Geld!«
»Er ist weg!«, rief Helga. »Hat gesagt, dass er sich nicht immer nach mir richten kann. Das macht er absichtlich!«
»Hattest du ihm gesagt, dass Emil mitkommt? Dass wir da sind!? Heute ankommen?«
»Na ja, also nicht so direkt …«
»Mein Gott, Helga! Ich hätte selbst mit ihm sprechen sollen!«
»Ach was, groß anmelden! Bei dem großen Haus? Platz ist doch immer, er soll sich nicht so anstellen.«
»Er ist weg, sagst du? Wie weit weg?«
»Belgien.«
»Und du hast keinen Schlüssel für das Haus?«
»Gibt er mir ja nicht! Ein Bruder, der …«
»Darf ich mein Handy wiederhaben? Ich rufe ihn an!«
Georg stieg aus und ging die Einfahrt hinunter. Nach fünf Minuten kam er kopfschüttelnd wieder. »Helga, kommst du mal bitte?« Zu zweit gingen sie davon.
»Was ist denn nun mit Onkel Kurt?«, fragte Emil Eva.
»Keine Ahnung!«, antwortete sie. »Scheint nicht da zu sein.«
»Och nee. Ich habe mich schon so auf das Rasenmähen gefreut.«
»So!«, sagte Georg, als er zum Auto zurückkam. »Hier kom men wir nicht rein. Deswegen eine kleine Planänderung: Wir müssen Emil wohl mit nach Italien mitnehmen.« Er schlug sich lachend aufs Knie. »Wie machen wir das jetzt? Hier in München übernachten oder auf nach Forlì? Das sind ungefähr sechshundert Kilometer, ist locker zu schaffen.« Seine gute Laune war unheimlich schlecht gespielt.
»Und was ist mit Oma?«, fragte Emil.
»Die fährt auch ein Stück mit«, rief Georg, während er die Arme nach oben streckte, wie um sich vor ihnen zu ergeben. Eva merkte, wie eine Welle von Wut und Enttäuschung sich in ihr ausbreitete und ihre Arme und Beine schlaff werden ließ.
»Ich finde es gut, wenn Oma mitkommt. Die gehört ja auch zur Familie.«
»Ab Forlì fährt sie weiter mit dem Zug nach Rom. Hat da eine Verabredung. Recht überraschend.« Georgs Miene war ausdruckslos.
»Okay!«, antwortete Eva nur, stieg ein und schnallte sich an. »Wo ist sie denn jetzt?«
»Wartet unten an der Einfahrt.«
Als Helga zustieg, fragte Georg noch einmal in die Runde: »Jetzt ist es immerhin schon acht. Hier in München in einem Hotel übernachten oder durchfahren nach Forlì? Ich kann noch fahren, bin ganz fit und ausgeschlafen. Morgen früh baden wir als Erstes im Hotelpool. Eva wird uns ein schönes Hotel heraussuchen, ja, Eva?«
»Äh? Ja …«
»Ich kann supergut im Auto schlafen!«, behauptete Emil.
»Ich auch!«, kam es von Helgas Vordersitz.
Ich nicht, dachte Eva, ich werde kein Auge zutun, konnte ich noch nie während des Fahrens, und jetzt erst recht nicht, wo wir auch noch diesen kleinen und diesen alten Klotz am Bein haben. Wie soll das bitte schön gehen? So werden wir den biologischen Vater von Emil nie finden!
5
Sie hatten den Münchner Ring und den Stau vor Rosenheim hinter sich gelassen, als die Dunkelheit hereinbrach. Bei Innsbruck fuhren sie auf die Brennerautobahn A 1 3. Bevor es oben in den Dolomiten keinen Internetempfang mehr geben würde, versuchte Eva, ein Hotel zu finden. Es war nicht einfach, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Schick sollte es nach Helgas Wunsch sein, kein Tagungshotel, denn diese Vertretermentalität wäre extreeem deprimierend, und auf keinen Fall dürfe es Teppichböden in den Zimmern haben. Warum durfte Helga sich überhaupt etwas wünschen?, fragte Eva sich, sie würde doch allerhöchstens eine
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