Orangenmond
gesagt, wir können es bei ihm im Labor machen lassen?«
»Ja. Das hat er nur gesagt, weil er dich so toll findet …«
»Du sorgst dafür, okay? Du bist ein Schatz! Lass uns zurück ins Hotel fahren – und dann auf nach Pesaro, Spuren sammeln!«
Eva stöhnte, doch Georg fuhr fort: »So problematisch wird das ja nicht sein. Ich nehme einfach ein Haar von seinem Fischverkäuferkittel oder klaue das Glas, aus dem er getrunken hat.«
»Du hast als Requisiteur auch bei einigen Krimis mitgemacht, richtig?«
Er nickte.
»Im Film sind diese Dinge nicht so wichtig, aber in der Realität schon. Ein ausgefallenes Haar zum Beispiel ist telogen, da kommt bei der Analyse nicht viel raus. Anagene Haare, also herausgerissen, mit Wurzel, bringen viel mehr. Ich weiß nicht, ob du so nah an ihn herankommst und wie du ihm das dann erklären willst.«
»Und Zigarettenkippen?«
»Klar, die gehen, aber was ist, wenn er gar nicht raucht?«
»Eine Tasse, ein Glas, aus dem er getrunken hat?«
»Ja, wir können auch Kaugummis, Strohhalme, getragene Kleidung, Ohrringe, Sonnenbrillen, angeleckte Briefmarken vom Putativvater gebrauchen.«
»Putativvater«, wiederholte Georg andächtig.
»Der mögliche Vater. Es ist natürlich absolut illegal, diese Dinge als Vaterschaftsbeweis zu verwenden, und in Strafverfahren verboten.«
»Ist doch nur für mich!«
Ja, nur für dich, dachte Eva und stieg zu Georg ins Auto. »Ich glaube immer noch, dass du nicht weißt, was du dir mit diesem Wissen antust! Was, wenn einer von der Liste tatsächlich der richtige Vater, aber leider ein Volltrottel ist? An den würdest du unseren Emil dann doch nicht ausliefern?«
»Ich will es einfach erst mal wissen, Eva! Was ich dann mit diesem Wissen anfange, überlege ich mir noch.«
»Wirst du es Emil sagen?«
»Das hast du mich schon mal gefragt. Hat er nicht ein Recht darauf zu wissen, wo seine wahren Wurzeln sind?«
Eva zuckte mit den Schultern. »Musst du wissen.«
Die nächsten Stunden verbrachten sie alle vier am Pool, später aßen sie im Schatten der Sonnenschirme einen Teller tortillioni in Safranbutter, bestreut mit echtem parmigiano . Gegen zwei, nachdem Helga sich endlich entschlossen hatte, ihre Reise nach Rom doch auf den morgigen Tag zu verschieben und Garten, Kellner und latte macchiato für einen Ausflug im Stich zu lassen, brachen sie in Richtung Südwesten auf.
Das Land war flach, rote Backsteingehöfte standen inmitten von Feldern, kleinen Wäldchen und endlosen Reihen von Gewächshäusern. Niemand sprach, Georg fummelte ab und zu am Radio herum, um es mal lauter, mal leiser zu stellen und besonders schrille Werbejingles wegzudrücken. Helga thronte auf dem Beifahrersitz und cremte sich ihre Arme und den beträchtlichen sichtbaren Teil ihrer Beine sorgfältig mit einer Körperlotion ein, die dezent und teuer roch, während Emil die drei Fotos seiner Chamäleons und Annas Büchlein mit den Polaroids von Milena wieder und wieder durchblätterte. In der Ferne sah man sanft geschwungene Hügelketten.
»Hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen, liegt das schöne Florenz«, sagte Eva plötzlich laut.
»Bitte?!«, fragte Georg. O Gott, sie presste sich tiefer in die Rückenlehne, wo kam denn dieser dämliche Satz ihres Vaters auf einmal her? Den hatte er immer gesagt, wenn sie mit dem Wohnwagen hier vorbeigeschlichen kamen.
»Ach, nichts. Da hinten liegt nur Florenz.« Niemand antwortete.
Jedes Jahr in den Sommerferien war die ganze Familie knapp tausendfünfhundert Kilometer nach Pesaro gefahren, wegen des Wohnwagens mit Tempo achtzig. Zwei Tage dauerte die Fahrt, inklusive einer Übernachtung auf stets demselben Rastplatz bei Pfaffenhofen. Milena und sie wurden auf die Rückbank verbannt, zum Lesen und Leisesein verdonnert. Beim Lesen wurde ihr schnell schlecht, sodass sie immer mal wieder aufhören musste und dann entweder rausguckte oder auf die Hinterköpfe von Papa Manfred und Mama Annegret starrte, die für achtundvierzig Stunden zur Besichtigung freigegeben waren. Vier Wochen so nahe bei den Eltern, ohne Tante Enni, war jedes Jahr aufs Neue ein Schock. Mit Milena spielte sie das gruselige Spiel, dass sie von einem unbekannten Ehepaar entführt worden waren.
Solange Eva zurückdenken konnte, verschwanden ihre Eltern morgens ins Geschäft und kamen abends nach sechs wieder. »Fernseh-Jakobi« stand in geschwungenen Lettern über dem kleinen Schaufenster. Da es im Dorf keinen Kindergarten gab, wurden Milena und Eva schon in den
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