Orangenmond
Licht des Handydisplays eine Dose Cola aus dem Regal, riss sie auf und trank einen Schluck.
»Hilfe! Mach die verdammte Tür auf!!«, schrie sie dann. Nur zur Probe. Keine Reaktion von draußen.
»Aiuto!!« Nichts. Was für ein bizarres Gefühl, hier eingeschlossen zu sein, vielleicht war ihr Leben in Gefahr! Worüber hatte sie sich eigentlich vor zehn Minuten noch Sorgen gemacht? Kinderkram! Sie nahm einen Stuhl, stellte ihn mehrere Meter von der Tür entfernt ab, setzte sich darauf und wartete. Die Knie zitterten ihr immer noch, die Dunkelheit ließ ihren Kopf rauschen, und das Adrenalin in ihren Adern machte sie wach, hellwach und klar. Es roch nach Schimmel und nassem Karton. Was auch immer passierte, wenn sie hier lebend herauskam – und sie würde hier lebend herauskommen! –, dann würde sie Georg endlich sagen, was sie für ihn empfand. Keine Sekunde länger würde sie warten. Es war wichtig, was jetzt im Leben passierte. Nicht die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Jetzt! Warum machte Georg sich das Leben so schwer? Was bedeutete schon Sex mit einem anderen? Milena hatte Georg schließlich geliebt. War in ihrer Zeitplanung eben etwas schiefgelaufen, ein, zwei Tage reichten da schon.
»Mit dem da draußen etwa, Milli? O Gott, wo auch immer du jetzt bist, gib mir ein Zeichen, dass das nicht stimmt. Nicht mit ihm, nicht mit diesem dünngrätigen Klaus Kinski, oder?«
Nein.
»Danke! Und noch was: Ich werde Georg sagen, dass ich ihn liebe, dass ich richtig mit ihm zusammen sein will. Ich muss es ihm sagen. Soll er entscheiden, was er mit meiner Liebe anfängt, ich kann das keine Sekunde länger für mich behalten. Hast du etwas dagegen, Milli?«
Nein.
Eva lächelte, der Besenstiel fiel zu Boden. Sie liebte diese Zwiegespräche mit Milena, selbst das furchtbare Steintor wurde dadurch erträglicher.
»Noch einmal danke, Milli! Du weißt das bereits alles, wenn du uns zuschaust, aber Georg liebt Emil, und ich liebe Emil und ihn! Emil liebt uns beide! Wir sind ein Dreieck, bei dem nur noch eine einzige Verbindungslinie fehlt!«
Du redest mal wieder nur mit Ausrufezeichen, damit ich dir zuhöre.
Eva ignorierte diesen Einwand. »Richtig. Die von Georg zu mir. Aber Georg setzt seine Liebe für Emil gerade aufs Spiel, denn er weiß nicht einmal, was er sich damit antut. Was hat er von der Gewissheit, dass der kleine Perser da draußen Emils Vater ist? Es wäre doch völlig verrückt und unsinnig, ihn in sein Leben zu lassen. Für Emil? Emil braucht Georg, nicht irgendeinen versehentlichen Samenspender, dem er, Gott sei Dank, nicht einmal ähnlich sieht. Er ist so hübsch, Milli! Er ist dir so ähnlich, dass es wehtut.«
Ich sehe es jeden Tag.
»Georg hätte es nie erfahren dürfen, du hättest ihm das nicht antun dürfen. Ich habe ihn schon viel früher als du geliebt. Ein halbes Jahr!«
Das wusste ich damals nicht. Und du hast nie etwas gesagt. »Weil es dich nicht interessiert hätte.« Sie wollte nicht so streng klingen. »Geht es dir gut?«
Klar. Schön hier.
Evas Blick fiel auf ihr Handy, 21.55 Uhr. Vierzig Minuten waren vergangen, seit sie vor den Toren des giardino gestanden hatten. »Und du hast wirklich nichts dagegen, mich und Georg zusammen zu sehen?«
Stille. So still, dass sie die Kohlensäure der Cola in der Dose britzeln hören konnte.
Tja, dachte Eva, da gibt sie keine Antwort. »Milli, wir haben uns anfangs wirklich nur getröstet, und später war es einfach nur schön. Nachher kommt er sowieso immer auf dich zu sprechen. Ich schwöre! Ach, das weißt du ja.«
Sie trank die Coladose leer. Wenige Minuten später spürte sie, dass sie pinkeln musste – auch das noch. Sie schlug die Beine übereinander, zur Not konnte sie sich hinten in den Gang hocken. Lauf, Georg, beeil dich bitte!, betete sie. Nach weiteren zehn Minuten stand sie auf und hob den Besenstiel. Die Tür knackte wie auf ein geheimes Kommando. Evas Herz fing an zu rasen. Dunk, dunk, dunk, es klopfte bis in ihren Hals hoch. Jemand war an der Klinke. Eva holte aus, eine schwarz umrissene Gestalt hob sich gegen das helle Viereck des Hintergrunds ab, zu groß für den kleinen Perser.
»Du!!?«
»Hey, nicht zuschlagen, bitte!«
Sie ließ den Besenstiel fallen und warf sich in Georgs Arme. »Wo ist dieser Idiot?«
»Blutet. Flennt.«
Sie wollte ihn küssen für diese spröde Aussage. Er fragte nicht dumm, gab nicht ihr die Schuld, sondern hatte schon erledigt, was in einem solchen Fall in amerikanischen Filmen geschah. Dem
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