Orangenmond
wehe, du guckst!«
Nachdem sie gemeinsam kichernd in eine dunkle Ecke des Parks gepinkelt hatten, hatten sie es nicht mehr eilig. Sie ließen die Häuser und Straßen an sich vorüberziehen, erklommen unzählige Stufen und spazierten durch kleine Gassen. Schon längst hatte Eva die Orientierung verloren, aber was konnte schon passieren, sie mussten doch nur bergan, den Corso Vannucci würden sie immer wieder finden. »Hier?«
Sie betraten eine Bar, es ging zwei Stufen abwärts, dann standen sie in einem für Perugia so typischen Kellergewölbe. Hohe Decken, angenehm wenig Licht, an den Seiten ein paar Nischen mit Tischen. Dankbar kletterte Eva auf einen der Hocker, die gleich vor ihnen an der Bar standen.
Sie tranken. Einen eiskalten Wodka für Eva gegen den Schock, wie Georg sagte, und dann gleich noch einen in einem hohen Glas mit Kirschsaft. Whiskey ohne Eis für ihn. Der Barkeeper war freundlich und ließ sie in Ruhe, im Hintergrund spielte leise Saxofonmusik. Eva merkte, wie der Alkohol sich langsam in ihrem Blut ausbreitete und sie ruhiger werden ließ, gelassener, mutiger. Als Georg aufstand und sich hinter sie stellte, lehnte sie sich an ihn und fragte lachend: »Also, wie hast du das gemacht? Wolltest du mir nicht einen Trick aus deiner wilden Zeit als Türsteher beibringen?« Er legte die Hand auf ihre Schulter, bog die Fin ger unter ihr Schlüsselbein und drückte sanft zu; der Schmerz war zu spüren, schwach, aber jederzeit in der Lage, allein durch den Druck der Fingerspitzen um das Zehnfache verstärkt zu werden. »Mach dich ruhig lustig über mich!«
»Nein, nein. Sieht man dir ja auch gar nicht mehr an, deine Karriere …«
Was immer Georg auch angefangen hatte, er hatte es nicht zu Ende gebracht. Sie wusste, dass er nach der elften Klasse vom Gymnasium abgegangen und in eine Kochlehre gerutscht war, die er aber nach zweieinhalb Jahren, kurz vor der Handelskammerprüfung, abbrach. Er lernte Dekorateur, flog aber nach einem Jahr wegen zu vielen Kiffens raus, ein paar Monate lang wollte er sogar Gärtner werden, doch der Geruch der Gewächshäuser machte ihn schlapp und müde, und eines Morgens war er einfach nicht mehr hingegangen. Nach diesem verunglückten Start ins Berufsleben war er durch Hamburg gestromert, hatte angefangen zu boxen, war dann für ein halbes Jahr nach Israel gefahren und hatte sich dort in einer speziellen Art der Selbstverteidigung ausbilden lassen.
»Wie bist du eigentlich auf diese Idee mit Israel gekommen?«, fragte Eva und lehnte sich noch stärker an ihn.
»Weil ich den Gedanken toll fand, unbesiegbar zu sein . Wenigstens körperlich. Krav Maga, dieser militärische Nah kampf, hatte es mir angetan. Ich arbeitete ja schon im Hamburger Nachtleben, da war das ganz nützlich.« Er drückte wieder ein wenig fester zu.
»Verstehe, mit diesem Griff kann man jemanden bewegungsunfähig machen. Aber davon blutet man ja nicht.«
»Ich habe ihm eins auf die Lippe verpasst, weil er mir so ein unverschämtes ›Che cazzo me ne frega‹ zur Antwort gegeben hat, als ich höflich fragte, ob er nicht doch wisse, wo du hingegangen sein könntest. Ich weiß, was der Satz bedeutet, den hat Milena mir mal beigebracht.« Sie tranken mehr. Eva wechselte zu Espresso, begleitet von einem doppelten Baileys auf Eis. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie das Tässchen mit dem von Helga so bewunderten Segafredo-Schriftzug in ihrer Handtasche verschwinden lassen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Helgas kriminelle Energie sollte nicht noch unterstützt werden. Georg nahm einen weiteren Whiskey und Wasser.
Als sie die Bar schließlich verließen, waren noch einige Getränke auf dem Bon hinzugekommen. Eva merkte, wie schwerfällig sie auf ihren Beinen vorwärtskam, diese elend hohen Schuhe machten sie zu einem betrunkenen Storch.
»Die habe ich nur für dich angezogen!«, gestand sie Georg, der den Arm um ihre Schultern gelegt hatte.
»Ihr Frauen seid knallhart, ich bin jedes Mal wieder von eurer Leidensfähigkeit beeindruckt! Und alles nur, damit wir Kerle hinschauen. Wohin müssen wir?« Ineinander verhakt drehten sie sich einmal im Kreis.
»Shit. Keine Ahnung, wo der giardino liegt. Ist mir auch egal. Warum lachst du?«
»Ach, nichts.«
»Sag!«
»Dass dir irgendein Problem egal ist, ist wirklich selten. Der Frontone-Park liegt da unten rechts, glaube ich.«
»Dann müssen wir zurück und weiter hoch, den Corso finden. Ganz einfach!«
Sie gingen durch enge Gassen, die
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