Orangenmond
nichts genützt, sie ist völlig außer sich. Ich gehe kurz zurück, checke das mit ihr und komme dann wieder. Oder willst du mitkommen?«
Eva schüttelte den Kopf. Sie hatte absolut keine Lust, den ganzen Weg hin- und wieder zurückzustöckeln und zwischendurch auch noch über Helgas vermeintlich geplünderte Konten zu reden.
»Nein, will ich nicht, aber beeil dich«, sagte sie. Eine Viertelstunde zum Hotel, all die Stufen wieder bergauf, fünfzehn Minuten, um Helga zu beruhigen, wenn das überhaupt reichte, eine Viertelstunde wieder zurück zum Park. Er würde eine knappe Stunde unterwegs sein. Hoffentlich gab es in diesem Freiluft-Kino etwas zu trinken. Sie sehnte sich nach einem schönen Espresso mit einem Löffel Zucker zum Wachwerden und einem Glas Wein zur Stimmungsaufhellung.
Allein ging sie über den breiten, nur spärlich beleuchteten Weg und versuchte selbst auf hohen Hacken den Gang einer furchtlosen, zielstrebigen Frau zu imitieren. Der Park öffnete sich nach beiden Seiten, weiße Figuren standen wie steinerne Gespenster auf ihren Sockeln, nun konnte sie auch Stimmen vernehmen und erkannte, dass das, was sich da am Ende der Bäume schwarz und undurchsichtig über die Breite des Weges spannte, die Rückseite der Leinwand sein musste.
Der Film hatte schon angefangen, sie hörte die typischen Synchronstimmen, zu weich, zu glatt, zu charmant. Italien besaß vermutlich zwei männliche und allerhöchstens eine weibliche Sprecherin, was zur Folge hatte, dass alle ausländischen Filme, ob nun im Kino oder im Fernsehen, gleich klangen.
Sie wagte sich auf die andere Seite der Leinwand, erwartete, dass die Augen des gesamten Publikums auf ihr ruhen würden, aber sie hatte sich getäuscht. Das Publikum saß auf braunen Plastikstühlen, die in langen Reihen auf dem Kies standen, eingefasst vom Halbkreis einer halbhohen Mauer, die wohl etwas von einem Amphitheater vermitteln sollte. Die Zuschauer blickten gebannt nach vorn auf die Leinwand, und Eva ging ein paar Meter weiter, um besser sehen zu können. Ulrich Mühe hockte in seiner grauen Jacke oben auf dem Dachboden und lauschte in seine Kopfhörer hinein. Über ihm konnte man den dunklen umbrischen Himmel sehen, viele Sterne leuchteten ganz nah, es war eine wunderschöne Nacht. Jemand sagte: »Sicurezza dello stato, apra!« Staatssicherheit, öffnen Sie! Auf Italienisch klangen die DDR-Beamten komisch. Eva ging an den Stuhlreihen entlang. Hinter einem Steinbogen standen keine Bäume mehr, nur ein kleines Holzhäuschen, erleuchtet von dem grauen Sparlicht zweier Glühbirnen, die vor einem Regal mit Flaschen von der Decke baumelten. Das war also die Bar. Ein paar Tische standen davor, Klappstühle, zwei Barhocker. Links neben dem Häuschen reihten sich in einiger Entfernung drei blaue Chemieklos. Niemand war zu sehen, kein persischer Schah, kein Regisseur. Um Zeit zu gewinnen, ging Eva bis zu der Mauer, die den Park nach hinten begrenzte. Der Eingang hatte getäuscht, er war doch nicht sehr groß, eher ein Garten als ein Park. Aus den Lautsprechern neben der Leinwand ertönte das hohle Knattern eines Trabis. Sie schaute durch die Maschengitter des rostigen Drahts, tief unter ihr legte sich die Straße in eine Kurve.
Als Eva zurückging, sah sie einen dünnen Mann rückwärts mit einer grünen Heineken-Bierkiste aus einer Tür kommen, die in eine schmale steinerne Wand zwischen zwei Zaunstücke eingelassen war. Er schleppte die Kiste die wenigen Meter hinüber zur Bar. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, die dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die leicht olivfarbene Haut seiner Hände und der starke Haarwuchs an seinen Handgelenken waren aber trotz des schummrigen Lichts gut zu erkennen. Er könnte es sein, dachte sie, Milenas Regisseur ohne Lizenz zum Drehen.
Eva wandte sich schnell in Richtung »Dixi«-Klos, die in Italien bestimmt nicht »Dixi« hießen, aber genau wie in Deutschland rochen. Auch hier gab es einen Zaun, der Park war also komplett eingezäunt, die Straße lief offenbar um ihn herum. War sie vorn am Tor noch auf einer Ebene, fiel sie jenseits der Mauer schnell ab, sodass der Giardino di Fron tone oben wie auf einem breiter werdenden Tortenstück thronte. Doch wenn die Straße hinter dem Kino in ungefähr zehn Meter Tiefe vorbeilief, wohin führte dann die Tür, aus der der Typ gerade mit der Bierkiste gekommen war?
So langsam begann die Sache ihr Spaß zu machen. Bis Georg wieder da war, konnte sie auch ebenso gut
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