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Orangenmond

Orangenmond

Titel: Orangenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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dem Rätsel mit der Tür nachgehen.
    Seine Augen durchbohrten sie schon von Weitem, als sie sich der Bar nun ein zweites Mal näherte. Dunkle Augen ringe, fast lila, wie aufgemalt. Er war vermutlich mal ein gut aussehender Mann gewesen, bevor der Alkohol seine Züge verändert und die Wut eine tiefe Zornesfalte zwischen die knochig hervortretenden Wülste seiner Augenbrauen gegraben hatte. Sie machte einen Bogen, als ob sie ein wichtiges Ziel anstrebte, blieb dann jedoch auf seiner Höhe stehen. Sie starrten sich in die Augen. Eva nahm die Schultern zurück und presste die Kiefer zusammen, um seinem Blick standzuhalten.
    »Du bist es, und du bist es doch nicht.« Sein Italienisch war sehr klar und gut zu verstehen, nur an der Klangmelodie hätte professor Baldacci einiges auszusetzen gehabt. »Hast ihren Liebreiz nicht, ihr Strahlen nicht, alles, was bei ihr in perfekter Harmonie steht, ist bei dir gewöhnlich!« Das Wort »gewöhnlich« klang auf Italienisch um einiges brutaler: banale . Ein unverschämter Typ, dachte Eva, wieso weiß der sofort, wer ich bin?!
    »Du versuchst es, aber vergeblich!«, fuhr er fort.
    »Ich versuche gar nichts!«
    »Ah!« Er lächelte Eva mitleidig an. »Auch sie stand nicht zu ihrem Wort, zu ihren Taten. Ich habe es versucht mit ihr, aber sie hat mich permanent angelogen. Sie war eine Energieräuberin, also musste sie fort! Fort von mir, diese Deutsche!«
    »Aha«, sagte sie leichthin, entschlossen, ihn nicht ernst zu nehmen. Energieräuberin klang besser als Samenräuberin. »Potrei avere un caffè?« Sie machte einen Schritt auf die Bar zu.
    »Gibt keinen Kaffee, keine Lizenz – hier, das ist besser!«, antwortete er auf Italienisch. Er öffnete eine Flasche Heineken, stellte sie vor Eva hin, öffnete eine zweite. »Wenigstens eine schöne Stimme hat man dir mitgegeben.« Wieder dieser mitleidige Blick. Er setzte die Flasche an die Lippen und trank sie in zwei Zügen aus. Eva wartete. Mit der Flasche hätten sie schon mal seine DNA. Er setzte sie ab, nickte und schaute Eva erneut an. Alles an ihm war intensiv. Der Blick, die Mimik, die senkrechten Falten rechts und links der Nase, die neben seinen breiten Lippen endeten, ein dunkler Klaus Kinski, den Eva schon immer beängstigend gefunden hatte.
    »Salute!«, sagte sie lächelnd. Kinski war tot, und dieser kleine Regisseur mit den Halbmonden unter den Augen konnte ihr nichts anhaben. Milena war ja angeblich gut mit ihm ausgekommen. Aber dass sie mit ihm sogar das Bett geteilt hatte …? Unvorstellbar!
    »Warum eine Energieräuberin?«
    »Weil sie eine war! Nicht nur Energie. Auch Geld. Ge schenke. Du bist ihre Schwester, ja? Na, dann weißt du doch, wie sie ist!«
    »Wie sie war.«
    »Ach je, ein persisches Sprichwort sagt, die Erinnerung ist wie ein Hund, der dich ins Bein beißt, sobald du ihm den Rücken kehrst.«
    So ein blöder Spruch, dachte Eva. Überhaupt: Wie kann man Geschenke rauben? Und was bildet der sich eigentlich ein, Milena zu beleidigen? Niemand darf meine Schwester beleidigen, niemand darf schlecht über sie reden. Außer mir.
    »Geld? Wie viel Geld? Und was für Geschenke?«
    »Komm mit, ich zeige dir, was ich meine. Ich habe alles gesammelt. Beweismaterial. Und nicht nur gegen sie!«
    Er führte Eva um das Häuschen herum, aha, da war sie wieder, die ominöse Tür. Sie stand halb offen, dahinter war Licht. Eva schaute seitlich daran vorbei, erst jetzt konnte sie sehen, dass sich die Mauer, in der die Tür eingelassen war, weit über die Straße spannte.
    »Es ist ein Bogen«, beantwortete er ihre nicht gestellte Frage, » un arco di pietra , ein steinerner Torbogen – unten führt die Straße hindurch –, in den man von hier oben hineingehen kann. Darin liegt alles, was ich gegen sie gesammelt habe, mein Rechtsanwalt wartet nur darauf, Anklage zu erheben!«
    Anklage? Gegen die tote Milena? Eva stieß einen verächtlichen Laut hervor. Der Typ war ja total durchgeknallt, vielleicht mit irgendwas zugedröhnt, litt an Verfolgungswahn …
    »Und das bewahrst du hier auf!? Warum?« Sie lachte ungläubig.
    »Zu Hause ist es nicht sicher. Der italienische Staat ist gegen mich, meine Wohnung ist schon ein paarmal durchsucht worden! Aber das Volk liebt mich. Ich durfte den ›Marsch der Tausend‹ für die Italiener drehen. Mir haben sie ihre Geschichte anvertraut, Garibaldi, das historische Italien, mir, einem Perser!«
    Sie hörten Schritte knirschen, zwei junge Männer traten an den Tresen der Bar. »Reza, gibst du

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