Orangenmond
gekrochen, der Raum lag im Halbdunkel. Um sie herum war es ruhig, die anderen waren wahrscheinlich unterwegs, um das Kolosseum nun auch von innen zu besichtigen oder auf der Spanischen Treppe herumzulungern. Das war es, was man bei einem Besuch in Rom machte, und nicht am helllichten Tag im Bett liegen und die Zeit vergeuden. Sie horchte in sich hinein. Nichts. Georg, Emil und Helga würden schon irgendetwas unternehmen und auch ohne ihre Dolmetscherin zurechtkommen. Georg würde sicher auch regeln, wie viel Geld Konrad für die Wohnung bekam, und entscheiden, wann sie nach Ostuni starteten. Morgen wahrscheinlich. Und sich auch um ein Hotel kümmern. Easy. Semplice . Wunderbar, nicht für alles verantwortlich zu sein! Was hieß »einfach« auf Ungarisch? Házi cipök bedeutete jedenfalls Hausschuhe. Eva lachte in die leere Wohnung und streckte sich. Sie musste an Jannis’ Küsse denken und an seine Hände, die sich mitten auf Roms Straßen unter ihr Kleid gewagt hatten. O Gott, hatte sie ihn vor der Haustür wirklich »Süßer« genannt? Fast hätten sie es in diesem Park getrieben. Sie grinste. Der kleine Jannis, nach all den Jahren, wer hätte das gedacht? Er brach te sie zum Lachen, war charmant und konnte fantastisch küssen. Sie hatte ihm etwas über Entscheidungen für den »richtigen Mann« erzählt und versprochen, wieder nach Rom zu kommen. Im Anschluss an Apulien? Da wäre kaum noch Zeit, das würde sie absagen müssen.
Vorsichtig prüfte sie den Zustand ihres Kopfes. Ein leichter Kater, ein unschönes Drücken gegen die Stirn, wenn sie sich bewegte, aber nicht mit dem Durchhänger in Perugia zu vergleichen. »Was für eine Nacht!« Eva angelte mit einer Hand nach ihrem Handy auf dem flachen Couchtischchen und schaltete es an. Jannis hatte ihr noch am Morgen die Bilder aus der U-Bahn geschickt. Ein schönes Paar geben wir ab, dachte sie, leider sehe ich mir überhaupt nicht ähn lich, so glatt, so glücklich, wie mit Fotoshop bearbeitet. Fake , alles nur Fake .
Das zweite Foto zeigte sie von oben beim Falten des Schmetterlings; konzentriert, gebeugter Kopf, die Fingerspitzen dicht vor dem Gesicht. Auf diesem Bild war sie nur an ihrem Haar zu erkennen. An irgendetwas erinnerte sie die Haltung, wo hatte sie schon mal so versunken gesessen? Ihr Kopf sträubte sich gegen zu intensives Nachdenken, sie kam nicht darauf. Sie besah sich noch mal das erste Foto. Wir sehen mega aus , schrieb sie Jannis zurück, bacione! Dicker Kuss. Nach einem kurzen Zögern löschte sie den bacione.
Wieder versank sie in diffuse Träume, eine Knutscherei mit Jannis, der dann irgendwann zu Georg wurde. Der andere Jannis beobachtete sie dabei, es war ihr schrecklich unangenehm.
Es klingelte neben ihr, erschreckt fuhr sie zusammen und schaute auf das Display. Nur Georg, der wissen wollte, ob sie endlich ausgeschlafen sei und in eine Trattoria in der Nähe der Piazza Navona kommen wolle. Nur Georg! Die Nacht mit Jannis hatte in ihrem Kopf eindeutig zuzuordnende Spuren hinterlassen.
»Du kannst den Bus nehmen, der 186er fährt gleich an der Via Merulana und braucht circa eine Viertelstunde.«
»Bin in fünfundvierzig Minuten da. Reicht das?«
»Okay, ich merke schon, das Leben einer Clubgängerin ist hart. Wir sitzen in der Trattoria Sal e& Miele in der Via, Moment, in der Via di Santa Maria dell’Anima. Das ist eine Parallelstraße, na ja Parallelgasse, zur Piazza. Ruf an, wenn du uns nicht findest!«
Zwanzig Minuten später trat Eva vor die Haustür und wand te sich nach rechts, die nächste Straße links, hier wohnte Konrad, und dort vorn lag auch schon die Via Merulana mit ihrem grünen Platanendach. Langsam kannte sie sich aus im Viertel. Direkt gegenüber der Bushaltestelle befand sich der nun geöffnete Zeitungskiosk, sie musste an ihren kleinen Papierschmetterling dort oben denken, der von der Sonne beschienen wurde. Irgendwann würde es regnen und das Papier nass werden, wieder trocknen, und wenn kein starker Wind käme, würde er den Sommer überleben, die Blätter der Platanen würden ihn bedecken, und am Ende würde er zu einem ausgebleichten, bis zur Unkenntlichkeit zerfaserten Etwas geworden sein, an dem keine Spuren mehr nachgewiesen werden konnten. Ihre DNA zum Beispiel. DNA! Das Foto, das Jannis von ihr gemacht hatte, erinnerte sie an den Typen aus der U-Bahn! Natürlich! Der saß genauso konzentriert und in sich gekehrt da, darauf bedacht, nicht erkannt zu werden und seine Angst und Anspannung unter Kontrolle
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