Orangenmond
ich schon. Mit Englisch kommt man hier nicht weiter, mit Fachwissen schon.«
»Wow. Du bist ja ein absoluter Mix.«
»Ein etwas heimatloser Mix, ja. Früher, wenn ich im Sommer meine Großeltern in Táborfalva besuchte, fragten mich die Nachbarskinder manchmal: ›Bist du eigentlich Ungar? Du sprichst irgendwie komisch, so altmodisch.‹ Ich wusste nie, was ich antworten sollte. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber keine Nationalität, die ich für mich be anspruche.« Er wich einem Laternenmast aus, ließ ihre Hand dabei aber nicht los.
»Sag doch mal was auf Ungarisch!«
»Was denn?«
»Irgendwas. ›Wo sind meine Hausschuhe?‹«
Er sagte es. Es klang lustig. Viel ö und ü dabei. »Was heißt davon jetzt ›Hausschuhe‹? ›Hatschizipök‹?«
»Genau, házi cipök .«
»Und was heißt ›danke‹?«
»Köszönöm.«
Eva nickte zufrieden. »Das Wichtigste weiß ich nun schon mal.«
»Definitiv.«
Sie gingen weiter die breite Straße hinunter, rosa blühende Bäume streckten ihre Äste weit über den Bürgersteig und milderten den Eindruck, den die überquellenden Müllcontainer und die schwarzen Mülltüten zwischen ihnen boten.
»Ich bin neidisch, mit diesen vielen Sprachen kannst du ja leben, wo willst. Was wäre dein Traum, wo würdest du am liebsten leben oder in Zukunft arbeiten?«
»Am liebsten in einer Werkstatt, von der ich abends nach Hause gehen kann. In meine Wohnung, zu der Frau, die ich liebe.« Er zuckte mit den Schultern, schaute Eva nur kurz an, nahm die Flasche und trank. »Niemand, den ich kenne, zieht noch für irgendwen irgendwohin. Alle haben ihre Karriere im Sinn, auch die Frauen, gerade die Frauen, und quälen sich mit desolaten Fernbeziehungen oder trennen sich sofort, wenn einer woanders arbeiten muss. Da habe ich keine Lust mehr drauf, auf so viel Halbherzigkeit.«
Eva nickte. Georgs Halbherzigkeit war in den letzten Tagen zu ihrem ständigen Begleiter geworden.
»Nicht, dass du denkst, Frauen sollen dahin gehen, wo ihre Typen sind, nur weil sie Frauen sind, das denke ich überhaupt nicht. Aber ich finde es schade, dass anscheinend niemand mehr etwas einfach nur aus Liebe tut. Alle scheinen davon überzeugt zu sein, dass sie bei Bedarf immer wieder jemanden finden, mit dem sie zusammen sein können. Dabei ist Liebe doch etwas so Einmaliges!« Er guckte Eva erwartungsvoll an. Sie seufzte und schaute in Roms erstaun lich dunklen Nachthimmel. In Hamburg war der Himmel viel heller von all den vielen Lichtern der Stadt.
»Für den Richtigen, Jannis, für den Richtigen machen Frauen alles!«, sagte sie.
Er lächelte sie an und schloss dann einen Moment lang die Augen. »Echt? Bleiben in einer Stadt? Kommen zurück in eine Stadt? Besuchen jemanden, der zufällig gerade in einer Stadt einen Job hat?«
»Und vieles mehr!«
Sie küssten sich und gingen weiter. Jannis dirigierte sie in eine kleine Nebenstraße.
»Was ich dir übrigens schon immer sagen wollte: Ich konnte damals wirklich nicht kommen. Zu Milenas Beerdigung, meine ich. Die Máma, also meine ungarische Großmutter, ist im Beichtstuhl einfach eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Ist noch schnell ihre Sünden losgeworden und dann – auf! Wir waren alle dort. Ich habe zwar noch einen Flug nach Hamburg gebucht, aber da war dieses Schneechaos …«
»Ich weiß, in Deutschland auch. Georg wollte mit Emil nach Spanien, um dem Trubel, der losbrach, zu entfliehen. Sie sind nicht weggekommen, haben es erst nach ein paar Tagen geschafft.«
Eva fühlte, wie ihre Augen sich nun doch mit Tränen füllten, ganz ohne ihr Zutun, als ob ein Schalter umgelegt würde. Sie blieb stehen und legte ihren Kopf an seine Brust, damit er ihr Gesicht nicht sah.
Milena hatte die Presse immer gut im Griff gehabt, sie lieferte ihnen ab und an eine kleine nette Geschichte, ohne etwas wirklich Privates preiszugeben. Sie war ein gern gesehener Gast in Talkshows und auf Filmfesten, auf Galas oder Preisverleihungen. Doch es gab keine Homestorys, nichts über die Familie, den Mann, das Kind. Und die Presse akzeptierte es.
Nach ihrem plötzlichen Tod war dieses Agreement aufgehoben, es wurde in großen Schlagzeilen über Drogen und Alkohol spekuliert, mit einem kaum sichtbaren Fragezeichen am Ende der Zeile. Die Boulevardpresse kramte Milenas Zusammenbruch im Jahre 1999 am Set von »Julia« wieder heraus, ließ die damalige Diagnose »Pfeiffersches Drüsenfieber« aber gemeinerweise weg. Georg war der gebrochene Mann, der seit Jahren im
Weitere Kostenlose Bücher