Orangenmond
Papa, und er hat eine kleine Zigarre im Mund, die stinkt so was von.« Emil stützte seinen Kopf in die Hand, als ob er ihm zu schwer geworden wäre.
» Daran erinnerst du dich noch!?«
»Ich habe den Rauch der Zigarre immer noch hier drin! Der wollte mich umbringen. Dabei war ich ein kleines Kind!« Er klopfte sich auf die Brust.
»Vorher wolltest du dich aber noch mit Kellerasseln vergiften«, lachte Georg, »die hast du gefangen, und wir mussten ständig aufpassen. Du warst so schnell, ehe wir hinschauen konnten, hattest du sie im Mund. Du hast sie ›die Aaseln‹ genannt, Keller-Aaseln.«
»Bääh. Ist ja eklig, Papa.«
»Meine Güte, und die Stinkewürmer!« Georg lachte. »Warum komme ich gerade jetzt auf die?«
Eva nickte. Die Stinkewürmer verbargen sich in den Steinritzen der Wände, sie krochen ab und zu auf dem Boden oder unter den Trullokuppeln herum. Harmlose glänzend braune Kreaturen, die aber eine üble Gestankswolke ausstießen, wenn sie sich bedroht fühlten. Noch Stunden später war die Luft verpestet, Handfeger und Besen, mit denen man sie eilig nach draußen beförderte, ebenfalls.
»Ich will die Aaseln wiedersehen und Mimmo, und die Stinkewürmer will ich sehen. Fahren wir da morgen hin?«
Georg seufzte und tauschte mit Eva einen Blick aus. Sie schüttelte langsam den Kopf. Hatten sie nicht verabredet, alleine zum Grundstück zu fahren? Es nur kurz zu inspizieren und es dann von einem oder mehreren Maklern schätzen zu lassen? Die Begegnung mit der Vergangenheit dort unten so gering wie möglich zu halten? Er nickte ihr beruhigend zu, wieder ganz der Georg, den sie liebte, auf den sie sich verlassen konnte.
»Mal sehen, Emil, morgen Nachmittag sind wir schon im Hotel, ist zwar nicht die Super-Luxus-Klasse, die du bevorzugst, aber die haben einen runden Pool!« Er sah Eva wieder an. »Vorher müssen wir Konrad nur noch …« Er zögerte.
»… mit einem Barcode versehen und in das System einpflegen«, beendete Eva den Satz, diesmal sicher, dass niemand außer Georg sie verstehen würde.
Georg zahlte, und sie schlenderten noch einmal kurz über die Piazza Navona, die Eva ja noch nicht kannte.
»Es gibt drei Brunnen hier«, erklärte Georg und nahm überraschend ihre Hand. »Willst du einen davon sehen?« Eva zuckte die Achseln und musste seine Hand loslassen, weil sich eine Großfamilie zwischen sie drängte. »Ich glaube, ich verzichte«, rief sie ihm über das Verdeck eines Kinderwagens zu, während sie Emil und Helga im Blick behielt, um sie nicht zu verlieren. Alle Brunnen waren von Menschenmassen umstellt, nur der schmale Obelisk ragte gut sichtbar heraus. Sie drängelten sich durch die vielen Maler, die ihre kitschigen Bilder und Skizzen ausgestellt hatten, durch Andenken-, Taschen- und Getränkestände. Luftballonverkäufer stellten sich ihnen höflich lächelnd in den Weg. No, grazie! Eva schaute nach oben. Weniger Touristen und ein paar mehr Römer würden Rom guttun, dachte sie, während sie die Fassade einer Kirche bewunderte, deren Namen sie nicht kannte.
»Du hast es gestern also nicht geschafft«, sagte sie zu Georg.
»Ich war damit beschäftigt, alles über Milena aufzusaugen, was ich noch nicht von ihr wusste. Irgendwann dachte ich, stopp mal, der beschreibt mir absichtlich eine fremde Frau, dichtet ihr ganz bewusst die seltsamsten Charakterzüge an, nur um mir das Gefühl zu geben, sie nie gekannt zu haben!«
Sie wurden mit einem Strom von Touristen vom Platz und durch eine für Autos gesperrte Straße geschwemmt.
»Wir haben sie alle nur auf unsere ganz eigene Weise gekannt.« Eva wusste nicht, woher dieser salbungsvoll klingende Satz kam. »Ich als Schwester, du als ihr Ehemann, er als verliebter Kameramann, der sie nur durch seinen Sucher sehen durfte.«
»Das hoffe ich!« Georg machte einen Satz nach vorn und hielt Emil fest, der fast von einem durch die Menge preschenden Rollerfahrer umgemangelt worden wäre. »Das ist eine Fußgängerzone hier!«, schrie er ihm hinterher. Eva wischte sich einen dünnen Schweißfilm von der Stirn.
»Wartet mal eben, hier ist eine ruhige Ecke, ich rufe ihn an und sage, wir kommen kurz vorbei, um die Miete zu bezahlen.« Emil machte sich von Georg los, rannte ein paar Meter vor und blieb stehen.
»Kommt ihr jetzt endlich, damit wir unsere Münzen in den richtigen Brunnen werfen können?«
»Man könnte meinen, er ist schon in der Pubertät«, sagte Helga, die sich unbemerkt von der Vitrine eines Ledergeschäfts gelöst
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