Orangenmond
schwieriges Projekt, die Koordination ihrer Finger klappte zu dieser frühen Stunde nicht mehr so recht, und außerdem war das Stück Papier einfach zu klein. Die Metro fuhr in die nächste Station ein, es klickte nah vor ihrem Gesicht, sie schaute auf, ihre Augen verengten sich strafend, bevor sie lachte: » Basta! Ich sehe furchtbar aus!«
»Du siehst nie furchtbar aus, das war das letzte Foto, ich schwöre! Der Rest dieser Nacht ist sowieso in meinem Kopf! Für immer.«
»Hier, du Romantiker.« Sie reichte ihm den winzigen Schmetterling, nicht viel größer als sein Daumennagel. »Biss chen schlampig, aber besser geht’s gerade nicht.«
Jannis nahm das zarte Gebilde mit offener Hand in Empfang. »Danke, er bekommt einen Ehrenplatz in meinem Herzen!«
»Spinner!«, lachte sie. Hand in Hand gingen sie durch lange düstere Flure mit schwarzem Gummibelag auf dem Boden und verließen die Station. Die Arkaden an der Piazza Vittorio Emanuele boten einigen Obdachlosen Schutz, die auf dem Mosaikboden lagen. Sie waren schon wach und schauten mit verquollenen, vom Alkohol gezeichneten Gesichtern zu ihnen auf. Sie gingen eine Querstraße hinunter, Eva erkannte den kleinen Park im Tigerkäfig wieder, dahinter die Via Merulana. Plötzlich winkelte Jannis den rechten Arm an, er unterstützte den Ellbogen mit der linken Hand, machte einen Sprung wie ein Basketballer und warf den Schmetterling in hohem Bogen in die Luft. Er landete auf einem Sims, weit oben an einem Kiosk, vor dessen heruntergezogenen Rollos schon verschnürte Zeitungspakete lagen.
»Jahrelang im Basketballteam der Sandford Park School in Dublin gewesen.«
»Glückwunsch! Habe ich dich gerade Romantiker ge nannt? Warum schmeißt du ihn weg? Ich denke, er bekommt einen Ehrenplatz in deinem Herzen.«
»Den hat er auch, aber er muss doch fliegen können. Und ich weiß trotzdem immer, wo er ist!« Eva lachte und stieß ihn in die Seite, er wehrte sie ab, nutzte aber die Chance und küsste sie noch einmal.
Vor der Haustür verabschiedeten sie sich. Es war heller geworden, doch Eva dachte nicht darüber nach, ob Jannis die Fältchen um ihre Augen in dem unbarmherzigen Licht noch stärker auffielen.
»Ein allerletztes Mal!«, verlangte er und umschloss ihre Wangen mit beiden Händen. Seine Lippen waren wunderbar weich. »Komm doch mit«, sagte er und drängte sich an sie. Sie strich ihm die Haare aus der Stirn.
»Süßer«, flüsterte sie. Meine Güte, sie hatte bisher noch nie einen Mann »Süßer« genannt, aber es passte so schön, und sie liebte ihn, sie liebte ihn auf eine sehr angenehme Weise, nicht besitzergreifend, eifersüchtig oder ängstlich, sondern ohne Bedenken und völlig frei.
»Aber du kommst doch wieder?«
»Ja, sobald ich in Apulien die Sache mit Milenas Grundstück geregelt habe.«
»Ich kann auch zu dir kommen, wenn ich mal freihabe, aber das wird in den nächsten Wochen wohl kaum der Fall sein …«
»Dann komme ich eben, du wirst sehen!« Nach einem letzten langen Kuss verschwand sie im Haus.
21
Eva zog die Pumps aus und schlich auf Zehenspitzen durch den Flur. Als sie den Salon betrat, blendete die Morgensonne ihre Augen, die plötzlich juckten, als ob sie feinen Sand unter den Lidern hätte. Sie taumelte ein kleines bisschen gegen den Türrahmen und beglückwünschte sich zu der Idee, das Sofa schon als Bett hergerichtet zu haben, bevor sie zum Essen gegangen waren. Sie öffnete das Fenster, griff in die Lamellen der schweren Holzläden und klappte sie zu, dann ging sie zum Sofa und schlug die Bettdecke zurück. Warum kann ich meine ach so freien Gefühle für Jannis nicht auch auf Georg übertragen?, fragte sie sich. Ich sollte Männer nicht so ernst nehmen! Sie umarmte das Kissen, wie gern würde sie jetzt zu Georg gehen und sich neben ihn legen, sich ganz fest an seinen warmen Körper pressen, seine haarigen Männerbeine und seine wenig behaarte Brust spüren, Haut an Haut liegen, ihm hautnah sein.
Die gemeinen Sätze, mit denen sie ihn vor Jannis zu Beginn des Abends bloßgestellt hatte, taten ihr längst leid. Sie konnte sich ein Leben ohne Georg nicht vorstellen. Wie hatte Jannis das genannt? Etwas einfach aus Liebe tun. Keine Kompromisse.
Sie zog sich aus, schlüpfte in ihren karierten Schlafanzug, verstöpselte die Ohren und zog die Schlafmaske auf ihre Stirn. Decke bis zur Nase, Maske in Position, schon war sie eingeschlafen.
Sie erwachte erst am Nachmittag, die Sonne stand schon tief und war um die Hausecke
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