Orchideenhaus
gemeinsame Zukunft, und dann bin ich wieder glücklich. Ich trage Deinen Ring jeden Tag. Er ist Symbol unserer Liebe. Eines Tages heiraten wir vor unseren Göttern.
In Hotel ist alles in Ordnung. Wir bekommen Bettwäsche und Kissen für die Zimmer und haben jetzt weniger Verdunkelung. Es gibt viele neue Gäste, und Madame ist sehr glücklich.
Deine Freunde hier schicken Dir Grüße. Alle sagen, Dein Klavierspiel fehlt in der Bamboo Bar.
Bitte verzeih mein schlechtes Englisch. Ich lerne noch und hoffe, dass es bald besser wird. Auf ewig Dein, Harry,
Deine Treibhausblume
Harry drückte den Umschlag an seine Brust. »Wie soll ich so weiterleben?«, stöhnte er.
Er sank auf den Hocker, um den Brief noch einmal zu lesen. Da hörte er Schritte und die Tür am anderen Ende des Gewächshauses. Als er erkannte, dass es Olivia war, schob er das Kuvert hastig in die Hosentasche.
Sie näherte sich ihm mit besorgter Miene.
»Ich habe dich überall gesucht. Deine Mutter meint, sie hätte dich nach dem Essen nicht mehr gesehen.«
»Stimmt. Ich habe … Zeit für mich gebraucht«, erklärte er.
»Ach, Schatz. Es tut mir schrecklich leid. Wahrscheinlich hat deine Mutter dir die Wahrheit über deinen Vater gesagt.«
»Ja.« Harry war froh über diese plausible Erklärung für seine geröteten Augen.
Sie breitete vorsichtig die Arme aus. »Darf ich dich umarmen? «
Harry wehrte sich nicht, weil er sich nach dem körperlichen Trost eines anderen Menschen sehnte. An ihrer Schulter weinte er sich aus wie ein Kind. Sie beruhigte ihn und versprach ihm, für ihn da zu sein. Sie versicherte ihm, dass sie ihn lieben und ihm beistehen würde.
Doch Harrys Gedanken kreisten um ein anderes Problem.
»Ich muss mich verabschieden«, murmelte er. »Aber wie soll das gehen?«
»Ich weiß, Schatz, ich weiß«, flüsterte Olivia.
In Changi hatte Harry gelernt, ohne viel Grübeln zu leben, und diese Fähigkeit kam ihm in den folgenden Wochen zugute. Die Vormittage verbrachte er bei seinem Vater im Arbeitszimmer, das bald das seine werden würde, um sich über sämtliche Aspekte der Führung von Wharton Park zu informieren. Vater und Sohn verbrachten mehr Zeit miteinander als je zuvor. Doch diesen gemeinsamen Stunden haftete Wehmut an, weil ihnen beiden klar war, warum sie zusammensaßen.
Erst jetzt wurde Harry die Vielschichtigkeit der Aufgaben bewusst, die sein Vater bewältigte. Je mehr er darüber erfuhr, desto mehr wuchs seine Bewunderung für ihn.
»Die goldene Regel – selbst wenn du jemanden für die Buchhaltung und die Verwaltung der Farm hast – lautet, immer den Überblick über alles zu behalten. Du musst die Bücher überprüfen und jede Woche über dein Land reiten. Verstehst du, was ich dir zu sagen versuche, mein Junge?«
»Ja, Vater«, antwortete Harry, den die Zahlen in der Kladde verwirrten. Rechnen war nie seine Stärke gewesen.
»Du musst alles im Griff haben und dafür sorgen, dass jeder in Wharton Park das weiß. Dein Urgroßvater hätte dieses Haus fast verloren, weil er sich stärker für das weibliche Geschlecht und den Portwein interessierte als für das Anwesen. Die Bediensteten sind ihm auf dem Kopf herumgetanzt. Vergiss nie: Ein guter Anführer führt von vorne aus. Deine Jahre beim Militär werden dir nützen. Ich bin stolz auf dich, mein Junge.« Er nickte, als wollte er die Jahre gutmachen, in denen er ihn nicht gelobt hatte.
Also setzte Harry sich aufs Pferd und ritt das Anwesen ab. Er informierte sich über die voraussichtliche Ernte des folgenden Jahres und über die Maschinen, die ersetzt werden mussten. Er zählte Rinder und Schweine und besuchte die Pächter, wobei er feststellte, dass einige die Grenzen des ihnen zugeteilten Grunds klammheimlich ausgedehnt hatten.
Harry bestimmte Jim, den Sohn von Mrs. Crombe, zum neuen Verwalter. Er war auf dem Gut groß geworden und hatte gesehen, wie sein Vater es vor ihm verwaltete. Jim besaß zwar keine Erfahrung in der Menschenführung, war aber jung, klug und ehrgeizig. Harry folgte dem Rat seines Vaters, er solle jemanden wählen, dem er vertrauen könne.
Bis spät in die Nacht ging Harry die Buchhaltung durch – das lenkte ihn ab und verschaffte ihm eine Ausrede dafür, erst dann das eheliche Schlafzimmer zu betreten, wenn Olivia bereits schlief. Schon bald stellte er fest, dass es um die Finanzen des Anwesens noch schlechter stand, als seine Mutter dachte.
Am Ende des Sommers glaubte Harry, jeden Quadratmeter des Guts zu kennen und zu
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