Orchideenhaus
er ging ins Postamt von Cromer, um Madame Giselle im Oriental ein Telegramm zu schicken, in dem er sich nach ihrem und Lidias Befinden erkundigte.
Zwei Tage später erhielt er die Antwort:
HARRY STOPP ALLES IN ORDNUNG HIER STOPP
WANN KOMMEN SIE STOPP LIDIA VOR ZWEI MONATEN
PLÖTZLICH VERSCHWUNDEN STOPP KEINE NACHSENDE-ADRESSE BEKANNT STOPP GRÜSSE GISELLE.
Harry wurde schwindlig.
Wieder in Wharton Park, ging er ins Arbeitszimmer, schloss die Tür, setzte sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände, um sich zu sammeln.
Vielleicht war Lidia einfach nur anderswo eine bessere Arbeitsstelle angeboten worden?
Harry schüttelte den Kopf. Er wusste, dass das nicht sein konnte: Lidia liebte ihre Arbeit und war dankbar für die Chance, die Giselle ihr geboten hatte. Außerdem hätte sie ihn mit Sicherheit informiert, wo sie sich aufhielt.
War sie krank?
Oder am Ende tot?
Harry schlug mit der Faust auf den Tisch. Er musste sie finden. Und ihr helfen, falls das nötig war.
Er begann, im Zimmer auf und ab zu marschieren. Dabei versuchte er, sich einen plausiblen Grund für Olivia auszudenken, warum er drei Monate verreisen wollte, um Lidia aufzuspüren, ihr alles zu erklären und sich von ihr zu trennen. Sollte er Olivia sagen, dass er und Sebastian während seines Aufenthalts in Bangkok geschäftliche Projekte angestoßen hätten, denen er nachgehen müsse, um die Finanzen des Anwesens zu konsolidieren?
Als Harry den Telefonhörer aufnahm, um Sebastian anzurufen, klopfte es an der Tür.
»Verdammt«, murmelte Harry. »Herein!«, rief er laut.
Olivia trat mit einem für sie ungewöhnlichen nervösen Lächeln ein.
»Harry, darf ich dich ein paar Minuten stören?«
»Was gibt’s?«
Olivia nahm mit zitternden Händen ihm gegenüber Platz.
»Ich muss dir etwas sagen … Keine Sorge, es sind gute Nachrichten.«
Harry schaute sie fragend an.
»Ich … Wir erwarten ein Kind! Genau das brauchen wir nach den schrecklichen Jahren, die wir alle durchgemacht haben.«
»Bist du sicher?«
»Vollkommen«, antwortete sie mit einem zufriedenen Nicken. »Der Arzt hat es mir gestern bestätigt. Ich bin im dritten Monat. Geburtstermin ist im August.«
Harry wusste, dass sie eine angemessene Reaktion von ihm erwartete. »Das ist ja wundervoll.« Er trat um den Schreibtisch herum, um sie auf die Wange zu küssen.
Sie sah ihn mit unsicherem Blick an. »Du freust dich doch?«
»Aber natürlich, Olivia.«
»Diesmal bin ich vorsichtiger«, versprach sie. »Die Ärzte raten mir angesichts dessen, was beim letzten Mal passiert ist, zu viel Ruhe. Ich werde also nicht die ganze Zeit auf dem Gut unterwegs sein. Der Gedanke, untätig zu sein, gefällt mir zwar nicht, aber auf lange Sicht wird es sich lohnen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich«, pflichtete er ihr bei.
»Ich fürchte, dass das mehr Arbeit für dich bedeutet. Wenn wir es deiner Mutter sagen, hilft sie dir sicher gern bei der Organisation des Haushalts. Jedenfalls sobald sie diese grässliche Grippe überwunden hat. Gott sei Dank dauert es nicht mehr lange bis zum Frühling. Ach, Harry, Schatz«, flüsterte Olivia, Tränen in den Augen. »Unser Kind.«
Verlegen über diese für sie so untypische Emotionalität, zog Olivia ein Taschentuch aus der Jacke und putzte sich die Nase. »Entschuldige. Es hat mich überwältigt. Ich verspreche dir, dich nicht mit ständiger Heulerei zu belästigen.«
In diesem Augenblick wurde Harry Olivias Stärke bewusst. Er hatte ihr in den vergangenen Monaten, abgesehen von dem körperlichen Akt, der meist grob ausfiel, nichts gegeben. Bestenfalls hatte er sie reserviert behandelt, schlimmstenfalls verächtlich. Trotzdem entschuldigte sie sich nun fast dafür, dass sie sich darüber freute, ein Kind zu bekommen.
Dies war ein Augenblick der Offenbarung für ihn. Bestürzt über das, was er als seinen Egoismus erkannte, kniete er vor ihr nieder und ergriff ihre Hand.
»Liebes, ich bin überwältigt. Gönn dir so viel Ruhe, wie du brauchst. Die hast du dir verdient.« Er nahm sie in die Arme. »Wann wollen wir es Mutter verkünden?«
»Ich dachte beim Mittagessen.«
»Sag Mrs. Jenks, sie soll zur Feier des Tages etwas Besonderes kochen.«
Olivia nickte, erfreut über seine Aufmerksamkeit und voller Hoffnung, dass sich dies als Wendepunkt ihrer Beziehung erweisen würde.
Olivia und Harry sagten es Adrienne, die von der Grippe noch ziemlich schwach auf den Beinen war. Sie reagierte genauso begeistert, wie Olivia es
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